"Wir brauchen Amerika überhaupt nicht"

MÜNCHEN. Katja Riemann, Jahrgang 1963, spielte zunächst Theater in München und Berlin, ehe sie 1986 zum Fernsehen kam. 1989 spielte sie an der Seite von Götz George in dem WDR-Tatort "Katjas Schweigen". 1990 erhielt sie dafür eine Goldene Kamera. Ihre Filmkarriere begann ab 1990 mit den Komödien "Ein Mann für jede Tonart" und "Abgeschminkt".

Frau Riemann, hatten Sie von den Vorgängen in der Rosenstraße bereits gehört, als Sie auf Frau von Trottas Filmprojekt aufmerksam wurden? Riemann: Ja, tatsächlich hatte ich schon davon gehört. Ein Verleger hat mit mir darüber gesprochen und auch ein Produzent, der mit dieser Geschichte schwanger ging. Es wundert mich heute noch, warum man erst Anfang der 90er begann, richtig darüber zu recherchieren. Warum war die Geschichte in der Versenkung verschwunden? Riemann: Ich habe keine Ahnung. Vielleicht hat es etwas mit dem heutigen Verhältnis dieses Landes und seiner Bevölkerung zu seiner Geschichte - speziell der Geschichte des Nationalsozialismus - zu tun. Auf der einen Seite heißt es "Ich kann das nicht mehr hören", auf der anderen Seite geißelt man sich nach wie vor und erzählt weiterhin nur die Geschichten der Deutschen als Mörder und nicht die Geschichten von Deutschen auch als "Helden", wie beispielsweise "Schindlers Liste". Es gab in diesem Land viele Menschen, die den Juden geholfen haben, wenn auch nicht genug. Widerstand wie in der Rosenstraße wäre wahrscheinlich sehr viel öfter möglich gewesen. Warum standen nicht die Männer internierter Frauen in der Rosenstraße? Riemann: Es gab dort Männer und auch Kinder. Margarethe von Trotta beschränkt sich überhöhend auf die Frauen. Es waren vielleicht zu 80 Prozent Frauen, schließlich war es 1943, und es gab kaum noch Männer. Siebzig Prozent der so genannten privilegierten Mischehen bestanden aus einem jüdischen Mann und einer deutschen Frau. Die Nazis haben den deutschen Ehepartnern Sonderkonditionen für den Fall in Aussicht gestellt, dass sie sich scheiden lassen - leichtere Arbeit, zusätzliche Lebensmittelkarten. Es wurden nur sehr wenige Ehen deshalb geschieden, aber zu wiederum neunzig Prozent waren es deutsche Männer, die sich von ihrer jüdischen Frau trennten. Das ist schon bezeichnend. Ich habe aber auch von einem Frontsoldaten auf Heimaturlaub gelesen, der die Herausgabe seines Schwagers forderte und androhte, sonst nicht an die Front zurückzukehren. Naturgemäß kann man nicht immer allem gerecht werden, wenn man einen Spielfilm über eine wahre Begebenheit dreht. Zum Beispiel ist es auch Tatsache, dass 25 Männer bereits nach Auschwitz gebracht worden waren, die man aufgrund der Proteste zurückholte. Ursprünglich wollte Margarethe auch davon erzählen, aber es hätte den zeitlichen Rahmen gesprengt. Welche Szene des Filmes haben Sie als besonders ergreifend empfunden? Riemann: Diese Frage ist für mich schwer zu beantworten. Natürlich erzählt man seine Figur über die ganze Bandbreite des Filmes. Jede Szene eröffnet eine neue Facette. Aber mir fällt diese Szene ein, als diese Uniformierten mit dem Lastwagen vorbei fahren und in die Luft schießen. Wir laufen alle weg, pressen uns ganz nah an die Hauswand. Ich habe die Kleine in meinem Arm. Auch oben bei den Männern herrscht Panik. Sie stellen sich übereinander, um einen Blick ins Freie zu erhaschen. In diesem Wahnsinn sehe ich plötzlich meinen Mann. Das war ein Moment, in dem ich auch beim Spielen Gänsehaut bekommen habe. Wie schätzen Sie die Bereitschaft zur Zivilcourage heute ein und welche Rolle spielen die Medien beim Schüren von Ängsten? Riemann: Natürlich möchte ich niemandem, der für die Medien tätig ist, auf die Füße treten. Aber ich finde, dass es zu viele Medien gibt. Es ist ein Zuviel an Berichterstattung und darunter ist sehr viel Schrott. Wenn Unicef mal soviel Aufmerksamkeit in den Medien zukäme wie Michel Friedmann, dem man mit soviel Häme begegnete! Da stellt sich mir die Frage, wofür die Medien arbeiten. Es ist ein weites Feld. Zivilcourage hat damit nicht soviel zu tun. Man kann sich auch heute seine eigene Meinung bilden, man muss sich nicht von den Medien manipulieren lassen. Ich glaube, dass wir in einem freiheitlichen Land leben, in dem wir uns unsere eigene Meinung bilden können. Was ich zum Thema Zivilcourage oder Solidarität zuletzt erlebt habe und was mich erschüttert hat, war die Demonstration vor dem Irak-Krieg in Berlin, an der ich auch teilgenommen habe. Man wusste, man ist jetzt mit vielen Millionen Menschen überall in Europa verbunden - das ging mir sehr nahe. Zwischen Brandenburger Tor und Alexanderplatz war keine Demonstration genehmigt. Die Polizei hat die Demo in Nullkommanichts als ihre eigene genehmigen lassen, das habe ich ihr hoch angerechnet. "Rosenstraße" konnte nicht vollständig in Deutschland finanziert werden. Was halten Sie im Gegenzug von der gängigen Praxis, Hollywood-Filme mit deutschen Steuergeldern zu finanzieren? Riemann: Furchtbar! Ich mag da gar nicht drüber reden, mir dreht sich der Magen um. Mein Verhältnis zu Amerika, was vielleicht nie so besonders gut war, ist gerade jetzt noch einmal erschüttert. Ich glaube, man könnte da viel machen. Wir in Europa könnten Amerika komplett lahm legen. Wenn man den Mut hätte - oder auch die Zivilcourage - zu sagen: Wir gehen nicht mehr in amerikanische Filme, wir gehen nicht mehr zu McDonald‘s, und wir kaufen auch nicht mehr Nike oder Coca Cola. Es gibt hervorragende europäische Filme, es gibt in Europa viel besseres Essen als in Amerika, und es gibt bessere Modemacher. Wir brauchen die eigentlich gar nicht. Aber hier kriegt ja niemand den Arsch hoch. Egon Günther hat ein wunderbares Drehbuch über Friedrich Nietzsche geschrieben, das niemand finanziert. Er hat eine Besetzung, da schlagen Sie hinten über. Wir haben alle schon zugesagt. Aber warum Friedrich Nietzsche, wenn wir "Terminator" haben können? Fehlen Ihnen die tiefer schürfenden Stoffe? Riemann: Ich möchte sehr viel öfter solche Rollen spielen. Ich sehe mich sehr viel eher als Tragödin denn als Komödiantin. Psychologische Spiele sind einfach interessant, denn sie treiben mich voran. Welche Eigenschaft hat Frau von Trotta, an der Sie sie sofort von allen anderen Regisseuren unterscheiden können, mit denen Sie gearbeitet haben? Riemann: Ich muss scharf nachdenken, damit ich niemandem Unrecht tue. Ich glaube, sie ist die erste Regisseurin, die lange als Schauspielerin gearbeitet hat. Sie kann Dinge ganz anders nachvollziehen. Sie kennt die Angst. Die Fragen stellte unser Mitarbeiter André Wesche.

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