Worte werden Blechmüll, Frauen werden Couchtische

Keine halben Sachen. Das sagte sich der 2015 verstorbene britische Fantasy-Schriftsteller Terry Pratchett (unter anderem 41 "Scheibenwelt"-Romane und mehr als 30 weitere), der zehn unvollendete Werke hinterlassen hat und offenbar nicht wollte, dass sich jemand anders seine Manuskripte vornahm, um sie - nicht in seinem Sinne - zu beenden.

Also beschloss er, sie vernichten zu lassen - und das auf ziemlich spektakuläre Weise. Früher hätte es gereicht, den Feuerkorb in den Garten zu stellen und die Papierstapel in die Flammen zu werfen. Da Festplatten widerstandsfähiger sind, heißt es, nach neuen Wegen der Zerstörung suchen. Ob es gleich eine Dampfwalze sein muss, eine uralte zumal, sei dahingestellt: Genau eine solche aber kam zum Einsatz. Die überrollte die metallenen Archive langsam und knirschend und endgültig. Damit erfüllte der Verwalter des Pratchett-Nachlasses, Rob Wilkins, den letzten Wunsch des Autors. Das heißt allerdings nicht, dass das zerknautschte Blech nun auf dem Müllhaufen der (Literatur-)Geschichte landen soll. Nicht nur, dass die Dampfwalze, die zum Zweck der Zerstörung in Bewegung gesetzt worden war, zu einer Ausstellung historischer Dampfmaschinen in Tarrant Hinton in der südenglischen Grafschaft Dorset gehört. Die Reste von Pratchetts Festplatte sollen nun auch von September an in einer Ausstellung über den Schriftsteller im Salisbury Museum, rund 50 Kilometer nordwestlich von Southampton gelegen, zu sehen sein. So werden Worte zu Blechschrott, und während der Zuschauer die Knautsch-Kunst betrachtet, mag er darüber sinnieren, welche Sätze dort wohl zusammengepresst worden sind. Eine Dampfwalze hätte wohl auch mancher Besucher - vielleicht eher Besucherin - gern zur Hand gehabt, wann immer er eine Ausstellung bestückte: Allen Jones, Pop-Künstler und berühmt-berüchtigt für seine Möbelstücke, die Form und Funktion mit einer gehörigen Portion Sex (oder Sexismus?) verbinden. Der Brite, der heute, am 1. September, seinen 80. Geburtstag feiert, war und ist fasziniert von der weiblichen Form und verewigt "das Weib" als idealisiertes Kunstgeschöpf, mal Göttin, mal Hure. Trotzdem wird Jones nicht müde zu beteuern: "Ich bin Feminist." Was die wirklichen (oder selbst ernannten) Feministinnen nicht davon abgehalten hat, seine Ausstellungen mit Stinkbomben olfaktorisch zu bereichern oder mit Farbbeize zu übergießen. Für seine Skulpturen "Tisch", "Stuhl" und "Hutständer" steckte er halbnackte Schaufensterpuppen in Lackkorsagen und Schaftstiefel und verarbeitete sie zu eben jenen Zweckmöbeln. Heute sind die Fetisch-Objekte Klassiker der 1960er und 1970er Jahre. Sechsmal hat er die Möbelfrauen reproduziert. Eines der Trios erwarb der Playboy Gunter Sachs. Als dessen Nachlass unter den Hammer kam, wollte Sotheby's 50 000 Euro pro Terzett haben. Der Bieterwettkampf war so heftig und ausdauernd, dass am Ende drei Millionen Euro in der Kasse des Londoner Auktionshauses klingelten. Befragt, was er denn mit seiner Kunst aussagen wolle, sagte Allen Jones, der nebenbei als Gastprofessor an der Hochschule für Bildende Kunst in Hamburg und an der Berliner Hochschule der Künste unterrichtet hat, aus: "Die Skulpturen sind in ihrer Zeit gefangen, aber hoffentlich sind die Leute stark genug, um sie als spielerisch zu sehen, als eine andere Art, die Menschheit zu betrachten." Wobei damit freilich nur eine Hälfte der Menschheit betrachtet wird. Wo ist die Künstlerin, die einen nackten Mann zum Sofa verarbeitet, zum Buchregal oder Handtuchhalter? Der Fantasie, wo an der Krone der Schöpfung etwas hängen oder stehen könnte, sind dabei natürlich keine Grenzen gesetzt … no/dpa Unterm Strich - Die Kulturwoche

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort