Wunderbare Leichtigkeit und sprechende Hände
Luxemburg · Ein Abend genialer Leichtigkeit hat rund 1000 Besucher in der Luxemburger Philharmonie begeistert. Dort war der junge kanadische Pianist Jan Lisiecki zu Gast.
Luxemburg. Geigenstar Pinchas Zukerman hält ihn für eines jener Talente, von denen es nur zwei alle 100 Jahre gibt. Andere haben Jan Lisiecki inzwischen zum Justin Bieber der Klassik gekürt. Das mit dem Jahrhunderttalent stimmt - wenn man die Zahl zwei nicht so wörtlich nimmt. Die Geschichte mit Justin Bieber ist dagegen reines Werbegetrommel.
Oben auf der Bühne der Philharmonie steht der kanadische Pianist, der bis März noch als Teenager durchgeht. Dann wird er 20 Jahre alt. Artig verbeugt er sich. Ein blonder junger Mann mit wachem Blick, wohlerzogen, aber nicht so brav, dass man ihn für einen Streber oder gar Einfaltspinsel halten könnte.
Vier Klassen hat er im heimatlichen kanadischen Calgary übersprungen, frühreif oder altklug wirkt er trotzdem nicht. Dafür lässt sein sensibles Gesicht erahnen, dass hier jugendlicher Feinsinn zu erwarten ist.
Und dann spielt Jan Lisiecki. Und schon nach wenigen Minuten ist klar, was ihn so einzigartig macht, und womit er die Musikwelt in Atem hält. Es ist die unglaubliche Leichtigkeit, mit der er die Musik zum Leuchten bringt, ihr Glanz verleiht, die Schwerelosigkeit, mit der seine Hände bisweilen über die Tasten zu huschen scheinen und dennoch jeden Ton prägnant zur Aussage formulieren. Spielfreude im besten Sinn, die ganz offensichtlich tief aus dem Innern kommt, ist der Grundtenor dieses Spiels.
Frisch spielen auch viele andere junge Musiker. Lisieckis Frische ist vom Glück am Spiel durchdrungen. Ein interessantes Programm hat der Pianist mitgebracht, in dessen ersten Stücken kompositorische Reife jugendlichen Ausdruck findet. Johann Sebastian Bachs Choral "Wachet auf, ruft uns die Stimme", geschrieben vom über 60-jährigen Thomaskantor und hier arrangiert von Busoni, wird bei Lisiecki zum Weckruf an die Welt. Wie strukturiert und dabei dynamisch der Kanadier spielt, zeigt sich auch in der folgenden Partita Nr. 2 c-Moll, ebenfalls von Bach. Geradezu zum Kobold auf dem Klavier wird der Pianist in Felix Mendelssohn Bartholdys Rondo capriccioso op. 14, der die Musik singen, irrlichtern, spuken und übermütig springen lässt.
Nach der Pause: Frédéric Chopins "Vingt-quatre préludes" op. 28. In den halsbrecherischen 24 Stücken wird deutlich, wer das Genie am Flügel ist: ein hochdynamischer Musiker, ein feinnerviger Klanggestalter und zudem ein brillanter Techniker. Allerdings einer, dessen virtuoses Spiel nie in die Nähe einer Zirkusnummer rückt. Das Schönste aber ist Lisieckis atemberaubende Leichtigkeit, die selbst den donnerndsten Akkorden ihre Bedrohlichkeit nimmt. "Angesichts solch jugendlicher Leichtigkeit schäme ich mich meiner Altersschwere", sagt der Herr nebenan betrübt. er