Film „Du kannst dich auch gegen die Nazis wehren“

Berlin/Trier · Mit einem Computerspiel über den Holocaust begann für Yaar Harell die Suche nach seinen jüdischen Wurzeln. Der junge Berliner, der in Trier Intermedia Design studierte, steht nun im Mittelpunkt eines Dokumentarfilms, der international Anerkennung findet. Für die Präsentation von „Endlich Tacheles“ kommt er am Mittwoch persönlich zurück an seinen Studienort.

Yaar Harell hat die Figur des jüdischen Mädchens in seinem Computerspiel an seine Oma angelehnt.

Yaar Harell hat die Figur des jüdischen Mädchens in seinem Computerspiel an seine Oma angelehnt.

Foto: Schramm Matthes Film/Lars Barthel, Copyright: Schramm Matthes Film

Yaar Harell hatte mit 19 eine rebellische Idee. Er wollte ein Computerspiel entwickeln,  wo die Teilnehmer im von Deutschland besetzten Polen zwei Figuren spielen: einen SS-Mann auf der einen Seite und ein kleines jüdisches Mädchen auf der anderen. Das Provokante: Wer mitmacht, schlüpft aktiv in beide Rollen. „Du musst nicht nur Opfer sein“, erklärt Harell seiner Mutter, „du kannst dich auch gegen die Nazis wehren, und die Nazis müssen nicht böse sein“. Das war ein Aufbegehren gegen den an der Vergangenheit leidenden Vater und die Weigerung eines Kindes der dritten Generation von Holocaust-Überlebenden, die Leiden der Väter zu ihrem eigenen zu machen. „Ich bin ein neues Kind“, betont der in Israel geborene und in Berlin aufgewachsene junge Mann trotzig – „wer will sich denn mit einem Opfer identifizieren!“.  Er mietete mit einem deutschen Freund, dessen Vorfahr SS-Mann war, und einer Zeichnerin ein Haus in der Nähe von Krakau, um das Spiel möglichst authentisch zu entwickeln. In der polnischen Stadt war Harells Oma geboren, die vor den Nazis versteckt und nach Palästina gerettet wurde, die aber zeitlebens daran verzweifelte, dass sie ihren fünfjährigen Bruder nicht beschützen konnte. Er wurde ermordet. 

Das Spiel „Shoah. Als Gott schlief“ wurde nicht fertig. Doch es führte den jungen Juden, der 2016 zum Studium von Mediendesign für mehrere Jahre nach Trier zog, auf die Spuren seiner Familie und zu einem noch größeren Projekt: „Endlich Tacheles“. Ein Dokumentarfilm über Harells eigene Geschichte und seine Auseinandersetzung mit dem Judentum - vom lebenslustigen Kerl, der unter der Dusche zur rhythmisierten Nationalhymne in die Luft trommelt, der boxt, der lacht und mit diesem ganzen „Opferverein“ nichts zu tun haben will, bis zum ernsthaften Spurensucher, der in Polen ein furchtbares Geheimnis lüftet. Fünf Jahre habe er mit den Regisseurinnen Jana Matthes und Andrea Schramm an dem Film gearbeitet, erzählt Harell und versichert, dass die kompletten 104 Minuten authentisch seien, ohne dass auch nur eine Szene gespielt wäre. Da sitzt er neben der Oma in Israel und blättert in Fotoalben. Oder lässt sich auf dem Flohmarkt mit den Freunden vom original Eisernen Kreuz faszinieren, das die drei dann als Vorlage fürs Computerspiel mitnehmen. Diskutiert lautstark mit dem leidenden Vater, oder liegt ihm einfach mitfühlend in den Armen.

 Das Spielerische des ursprünglichen Projekts hat Harell auch in diesen Film gelegt, lockere, jugendliche Dialoge, die der Schwere des Erinnerten gegenüberstehen. Ohnehin sei das Spielerische der bessere Weg des Gedenkens, ist Harell überzeugt. Es stärkt die Empathie für jegliche Rolle, ob Jude oder Nazi, und schaffe mehr Verständnis als objektive Zahlen und Fakten. „Gerade so erreichen wir eine neue Form  von Erinnerungskultur, indem wir die Leute partizipieren lassen an etwas -, auch wenn es weh tut, den Nazi zu spielen und zu merken, dass das ein vollkommen normaler Mensch war, dem man gar nicht zutrauen würde, so eine Scheiße zu machen.“

 Am Mittwoch kommt Yaar Harell mit „Endlich Tacheles“ nach Trier, wo mehrere Szenen entstanden sind – in der Altstadt und der Hochschule am Irminenfreihof.  Der Anfang Oktober in ausgewählten Kinos angelaufene Film hat bereits mehrere Preise erhalten, wird international beachtet und war für den deutschen Dokumentarfilmpreis 2021 nominiert – den dann Greta Thunberg gewann. „Ich liebe Trier“, sagt der Gamedesigner, der sich der Stadt und den Menschen sehr verbunden fühlt. „Es ist eine Stadt, die mir immer am Herzen bleibt.“ Durch den Film sei das konserviert worden. Und deshalb will er den Menschen hier mit seinem Besuch im Kino etwas zurückgeben. Am selben Tag wird Yaar Harell 27.

 Info: Der Dokumentarfilm „Endlich Tacheles“ läuft am Mittwoch, 24. November, um 19 Uhr im Broadway-Kino in Trier, anschließend Gespräch.

(aheu)
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