Musik Zehn bekannte Persönlichkeiten beantworten zehn Fragen zu Ludwig van Beethovens Schaffen (Teil 1)

Bonn · Wie gelingt es dem eigenwilligen Genie noch heute, Menschen für seine Musik zu begeistern? In Teil eins erörtern zwei Musiker, die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz und der stellvertretende Volksfreund-Chefredakteur ihre Gedanken dazu.

  Das bekannte Beethovengemälde mit der Missa solemnis (1819), von Joseph Karl Stieler  .    Abbildung : Beethoven-Haus Bonn

Das bekannte Beethovengemälde mit der Missa solemnis (1819), von Joseph Karl Stieler . Abbildung : Beethoven-Haus Bonn

Foto: Beethoven-Haus Bonn © Beethoven-Haus Bonn/Beethoven-Haus Bonn

Die ganze Welt feiert Ludwig van Beethovens 250. Geburtstag. Der deutsche Pianist und Tonsetzer (1770 bis 1827) gehört bis heute zu den meistgespielten Komponisten auf dem Erdball.

Es gibt widersprüchliche Angaben darüber, ob sich Mozart und der 14 Jahre jüngere Beethoven tatsächlich in Wien begegnet sind. Genies waren beide. Doch wer war der größere Meister?

TOBIAS SCHARFENBERGER, Intendant des Mosel Musikfestivals und Sänger:

Ich denke nicht, dass diese Frage final zu beantworten ist – schon gar nicht von mir – und auch nicht beantwortet werden muss, um die Bedeutung beider Komponisten einzuordnen. Ganz persönlich aus rein sängerischer Sicht ist Mozart mein unangefochtener Favorit. Schaut man jedoch auf das Gesamtschaffen, hat Beethoven gerade im Bereich der Symphonik, Instrumental- und Kammermusik wirklich ganz neue Dimensionen geschaffen und Gattungen ungeheuer weiterentwickelt, Tore zu neuen Welten aufgestoßen. Definitiv war er auch einer der ersten Komponisten, die ganz bewusst Werke schaffen wollten, die für eine Nachwelt gedacht waren. Wie neu, wie modern und aufregend Beethoven war und ist, lässt sich im kommenden Festival-Sommer sicherlich ganz ausgezeichnet im hochkarätigst und international besetzten Beethoven-Streichquartett-Zyklus 21. bis 23. August und 18. bis 20. September beim Mosel Musikfestival erleben. In meiner Wahrnehmung sind beide Komponisten „Original-Genies“ auf Augenhöhe. Mit ihrer „Sprache“ künden sie von etwas, das „immer stimmt und richtig ist, dem wir vertrauen können und das uns niemals im Stich lässt“ (Leonard Bernstein). Sie geben uns in einer sehr komplexen Welt sehr verlässliche Koordinaten an die Hand. Also ein ganz klares 1:1.

Beethoven begeisterte sich für den Freiheitsgedanken und die Ideale der französischen Revolution. In seiner Ode an die Freude (9. Sinfonie) heißt es „Alle Menschen werden Brüder“. Sie ist seit 1985 Europahymne. Warum ist die 9. Sinfonie heute beliebt und bekannt, obwohl Europa von vielen skeptisch gesehen wird?

MALU DREYER, Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz:

Demokratie und Frieden in Europa sind keine Selbstverständlichkeit. Daran müssen wir immer wieder erinnern. Beethovens 9. Sinfonie ist aus Sehnsucht nach Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit entstanden. Und Friedrich Schiller seinerseits träumte von der europäischen Staatengemeinschaft, in der Frieden und Wohlstand herrschten. Es ist also kein Zufall, dass gerade seine „Ode an die Freude“ von Beethoven vertont wurde. Die emotionale und universelle Sprache der Musik hat die Menschen schon immer geeint. Die Magie von Beethovens Sinfonie besteht darin, Sehnsüchte nach Frieden und Harmonie zu wecken.

Viele Komponisten haben sich künstlerisch mit Beethoven auseinandergesetzt, nicht nur die Klassiker. Welchen Einfluss hatte und hat Beethoven auf die Rock- und Popmusik?

PETER REINHART, stellvertretender Volksfreund-Chefredakteur:

Ba-ba-ba-baaa. Drei Achtel, eine Halbe. Beethovens Fünfte. Ba-ba-ba-baaa. Das erste Riff der Musikgeschichte. So schlicht, so genial, so populär. Wie „Satisfaction“. Oder „Smoke On The Water“. Ba-ba-ba-baaa.

St. Louis, Missouri, in den fünfziger Jahren. Chuck Berry erfindet den Rock’n’Roll. Wild, heiß, anders. Er singt über Liebe, über Rassentrennung, über kapitalistische Ausbeuter. Einer seiner brillanten Einfälle: „Roll Over Beethoven“, ein Song wie keiner zuvor. Chuck Berry vereinnahmt den Heros der Wiener Klassik, er überrollt die bürgerliche Tradition, er versöhnt die Musik der Weißen mit der Musik der Schwarzen.

In dem Song geht es ein bisschen um Beethoven und ein bisschen mehr um Chucks Schwester, die im Elternhaus der Berrys stundenlang klassische Stücke am Klavier übte. Und es geht darum, zu beweisen, dass Rock’n’Roll die Gegenwart ist und Klassik die Vergangenheit; hey, Ludwig, du wärst begeistert, vergiss nicht, Tschaikowsky die News zu erzählen. Das ist ironisch, das ist arrogant, das ist: sensationell gut.

Die Beatles haben den Song gecovert, die Stones auch. Und fünfzig, sechzig andere. Sehr bekannt: die Version des Electric Light Orchestra, sie fängt mit Beethovens Ba-ba-ba-baaa an und geht nahtlos über zu Chuck Berry.

Beethoven und Berry, zwei Popstars, die mit ihrer Musik die Welt verändert haben. Die Welt? Das Universum! Gemeinsam sind sie seit vierzig Jahren mit den interstellaren Raumsonden Voyager 1 und 2 unterwegs zu den Außerirdischen. An Bord, auf einer goldenen Datenplatte gespeichert (Lebensdauer geschätzt 500 Millionen Jahre): allerlei Grußbotschaften, Bilder und Musik – darunter Berrys „Johnny B. Goode“ und Beethovens Fünfte. Ba-ba-ba-baaa.

Beethoven hat nur 2 Messen komponiert, die C-Dur-Messe und die Missa solemnis. Die Meinungen über beide Werke waren zu Beethovens Lebzeiten geteilt. Wie bewerten Sie diese beiden Kompositionen?

THOMAS KIEFER, Domkapellmeister in Trier und Professor für Chordirigieren in Wien:

„Beethovens Messe ist unerträglich lächerlich und scheußlich; ich bin nicht davon überzeugt, dass man sie ernst nehmen kann.“ – Kann ein Komponist bei seinem Auftraggeber tiefer in Ungnade fallen als Beethoven bei dem zitierten Fürsten Esterházy? Dieser hatte die Messe in C-Dur op. 86 anlässlich des Namenstags seiner Gattin in Auftrag gegeben und zeigte sich nach der Uraufführung 1807 in Eisenstadt empört. Zu sehr wurde die Hoffnung auf ein „gefälliges“ Werk im Stile der bisherigen, von Beethoven hoch geschätzten Hauskomponisten Haydn, Hummel oder Albrechtsberger enttäuscht. Kein repräsentativer Prunk zu Beginn im Kyrie, fehlende einheitliche Affekte in den textreichen Sätzen Gloria und Credo, stattdessen kleingliedrig-präzise Textausdeutung, dramatisch-schnelle Stimmungswechsel und schroff auskomponierte Kontraste. Kurz gesagt: zu wenig Vertrautes, zu viel Beethoven und somit genau das, was uns heute an dieser ersten symphonischen Messe überhaupt so begeistert.

Op. 86 als „kleine Schwester“ der späteren Missa solemnis op. 123 zu bezeichnen, wird dem Werk übrigens nicht gerecht. Auch die C-Dur-Messe ist eine Missa solemnis, also eine feierliche, mit Trompeten und Pauken (und vielem mehr) besetzte Messe, über die Beethoven zu Recht selbstbewusst sagte, er habe „den Text behandelt, wie er noch wenig behandelt worden (ist)“.

Indem er selbst die spätere, eigentliche Missa solemnis op. 123 zu seinem Hauptwerk erklärte – nicht die Sinfonien, nicht die Kammermusik – wies er seiner zweiten und letzten Messe die Ausnahmestellung zu, die sie bis heute behalten hat. „Die Solemnis“ sprengt in vielerlei Hinsicht den Rahmen: In ihrer Länge ist sie nicht für die Liturgie, sondern für das Konzert gedacht. Sie kehrt in ihrer Expressivität alle erdenklichen menschlichen Empfindungen nach außen, legt die Seele des Tondichters und des ergriffenen Hörers offen. Dabei ist sie in ihrer Kompositionsweise kompromisslos, vor allem im Umgang mit den Vokalstimmen.

Dass Beethoven nicht für Singstimmen zu komponieren wusste, wie mancher behauptet, ist jedoch falsch. Die notwendige außergewöhnliche Kraftanstrengung, das Abverlangen physischer Höchstleistung, ja das sängerische „Auf dem Zahnfleisch gehen“ ist von Beethoven sicher gewollt und Ausdruck des zutiefst Menschlichen, also dessen, worum es in der Missa solemnis geht: das Ringen mit dem Leben und dem Glauben mit seinen höchsten Höhen, tiefsten Tiefen, verzweifelten Kämpfen und der alles erlösenden Hoffnung. Am Ende des vierjährigen Kompositionsprozesses und der einhergehenden religiösen Selbstfindung schreibt Beethoven über das Autograf: „Von Herzen möge es wieder zu Herzen gehen.“

Beethovens C-Dur-Messe op. 86 erklingt am 3. Oktober um 17 Uhr zusammen mit Mendelssohn Lobgesang im Schlussakkord des Mosel Musikfestivals im Dom.

(Ende des ersten Teils – den zweiten Teil gibt es in Kürze.)

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