Zerfetzter Elefant

Geht das? Aida, der Opern-Monumentalisten liebstes Werk, ohne Aufmärsche, ohne Pomp, ohne Nil-Folklore, ohne Pyramiden, ohne Elefanten? Einfach nur als Kammerspiel? Es geht. Und wie.

Saarbrücken. Pardon. Einen Elefanten gibt es doch in dieser "Aida", die übliche Maßstäbe sprengt. Feldherr Radames, im Zivil-Leben ein großer, entscheidungsschwacher, ungelenker Junge, nimmt das graue Stofftier mit auf seinen Feldzug. Man lacht, amüsiert sich über den vermeintlichen Gag. Doch dann kommt er zurück, das Spielzeug in Fetzen, die Uniform blutig, ihr Träger traumatisiert. Nix mehr zu lachen, das Kriegs-Spiel ist aus, nur der Krieg noch geblieben.Regisseur Peter Konwitschny und seine Ausstatter (Bühne: Jörg Kossdorff, Kostüme: Michaela Mayer-Michnay) arbeiten gerne mit Kontrasten, die den Zuschauer irritieren, aus der Bahn werfen. Man kann sich der Dinge nicht sicher sein. Der Mangel an Berechenbarkeit zwingt zum Mitdenken. Wer in die Oper geht, um sich Gewohntes gemütlich bestätigen zu lassen, ist hier falsch.Der Entwurf ist kühn. Man sieht nur eine weiße, mit Papier ausgeschlagene Box, in der Mitte eine Couch. Hier im Vorzimmer spielen sich die Seelendramen der Protagonisten ab, hier entspinnen sich ihre Konflikte auf Leben und Tod. Alles andere ist nur akustisch präsent. Allenfalls spähen die Akteure mal durch eine Tür auf die für das Publikum unsichtbaren Aufmärsche, die einen Soundtrack zu dem Psycho-Thriller auf der Couch liefern. Was draußen passiert, spiegelt sich nur auf den Gesichtern und in den stilisierten Bewegungen, die bisweilen in ihrer Künstlichkeit alten Stummfilmen gleichen. Das alles ist von einer unfassbaren Genauigkeit und verlangt den Sängern enorme darstellerische Arbeit ab. Die Stimmung wechselt in atemberaubendem Tempo zwischen Komik und Tragik. Grandios die Persiflage auf den Triumphmarsch. Während "draußen" mit Pauken und Trompeten und vorzüglicher Präsenz (Prager Festivalchor) die Truppen marschieren, steigt auf der Bühne eine bizarre Koma-Party. Die Sieger besaufen sich sinnlos, spielen Ringelpietz mit Anfassen und gerieren sich, als hätte soeben Ägypten das Finale im Afrika-Fußballcup gegen Äthiopien gewonnen. Doch kaum wähnt man sich in der Opern-Satire, wird es furchtbar ernst, ringen Radames, Aida und ihre Rivalin Amneris in beängstigender atmosphärischer Dichte um ihre Existenzen. Die Bilder, die Ideen, die Anspielungen alle aufzuzählen, ist kaum möglich. Man versteht sie auch nicht alle. Konwitschny-Inszenierungen sind eben Futter fürs Hirn, nicht (nur) für den Bauch.Dirigent Marzio Conti und das saarländische Staatsorchester liefern die Kammermusik fürs Kammerspiel. Keine Täterätä-Aida, stattdessen Sorgfalt, Transparenz, Durchdringung. Was nicht heißt, dass der Italiener am Pult nicht auf die Tube drücken könnte, wenn es darauf ankommt. Vorzügliche Soli, konzentriertes Zusammenspiel. Eine Klasse-Leistung. Bei den Sängern ragen die Damen heraus. Maida Hundeling ist eine umwerfende, glaubhafte Aida, die aus dem Reservoir einer kraftvollen, in allen Lagen beherrschten Stimme schöpfen kann - und begnadete Piani am Rand des Singbaren riskiert. Ildiko Szönyis Amneris meidet jegliche Schärfen ebenso wie dramatisches Mezzo-Geröhre, begeistert durch kompakte Stimmführung, Präzision und eine klare darstellerische Linie. Wobei die Frauen eh die dankbarere Aufgabe haben, zeichnet die Regie sie doch weit menschlicher und weniger karikaturhaft als die Männer-Rollen. Jan Vaciks Radames ist eine faszinierende Charakterstudie - und eine sängerische Berg- und Talbahn zwischen lichten stimmlichen Höhen und einigen (konditionell bedingten?) Untiefen. Stark der König von Konstantin Sfiris, souverän Danilo Rigosa (Oberpriester) und Jacek Strauch (Amonasro). Am Ende einhelliger Jubel, auch für die Regie. Ein Widerspruch bleibt dabei wie bei vielen zeitgenössischen Inszenierungen, dass sich die Genialität, mit der Konwitschny gewohnte An-Sichten konterkariert, nur dem erschließt, der Aida auch schon in Verona-Format gesehen hat. Für Debütanten und Kinder ist es vielleicht nicht der ideale Einstieg. Wer Oper neu erleben will, sollte diese Produktion keinesfalls verpassen.E-Werk Saarbrücken-Burbach, 24., 26., 28. August, 20 Uhr. Karten: 0681/992680. Infos: www.musik-theater.de

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