Zu viel Trallala, zu wenig Fallada

Trier · Ein zwiespältiger Abend: Hans Falladas Sozialdrama "Kleiner Mann, was nun?" aus dem Jahr 1932 als grellbunte Revue im Techno-Sound. Unterm Strich präsentiert Regisseur Gerhard Weber manch gute Idee, aber kein stimmiges Konzept.

 Treiben als grelle Verschnitte der Jacob Sisters ihr Unwesen: Daniel Kröhnert, Vanessa Daun, Barbara Ullmann. TV-Foto: Friedemann Vetter

Treiben als grelle Verschnitte der Jacob Sisters ihr Unwesen: Daniel Kröhnert, Vanessa Daun, Barbara Ullmann. TV-Foto: Friedemann Vetter

Trier. Ernste Themen im Gewand draller Unterhaltung zu erzählen, das ist immer eine Gratwanderung. Aus dem Kontrast zwischen anrührenden menschlichen Schicksalen und der schrillen Verfremdung durch absurd-musikalische Einlagen kann man Funken der Erkenntnis schlagen. Aber nur, wenn es gelingt, das Nebeneinander verschiedener Ebenen zu einer Geschichte aus einem Guss zu formen.
Wie man eine Story herausmeißelt, indem man sie mit scharfen Gegensätzen versieht, haben Tankred Dorst und Peter Zadek vor 40 Jahren gezeigt - vielleicht auch deshalb, weil die Form der Revue für ein ernsthaftes Drama seinerzeit noch eine blanke Provokation war.
Karel Gott auf Ecstasy


In Trier versucht man, an diese Form anzuknüpfen. Nur, dass Musik und Choreografie dem 21. Jahrhundert entstammen. Sebastian Matz liefert den Soundtrack dazu, geradezu demonstrativ simpel gehaltene Techno-Versionen alter Schlager. Karel Gott auf Ecstasy, die "Berliner Luft" im "Stomp"-Rhythmus, Chillen bei "Wochenend und Sonnenschein": Das ist anfangs originell, bei der x-ten Wiederholung aber irgendwann uninteressant. Gleiches gilt für die maschinenhaften Dance-Moves (Choreografie: Susanne Wessel).
Die Geschichte vom Buchhalter Pinneberg und seiner Frau Lämmchen, die in den Strudel des sozialen Abstiegs geraten, ist im Grunde eine ernste, ja bittere. Manchmal kommt das auch zum Vorschein.
Wenn der Wechsel der Wohnungen den sozialen Abstieg illustriert. Wenn Lämmchen verzweifelt auf Suche nach einem Dach über dem Kopf geht. Wenn Pinneberg wieder mal seinen Job verloren hat und, von einem unbarmherzigen Schicksal buchstäblich durchgeschüttelt, mit seiner kleinen Familie in eine Laube zieht. Oder wenn er am Ende als Flaschensammler durch die Straßen zieht, zum Fußabtreter geworden durch seine Arbeitslosigkeit.
Alina Wolff und Matthias Stockinger tun das Mögliche, um in den Hauptrollen stimmige Charakterbilder zu zeichnen. Sie ein lebenspraktisches, mit beiden Beinen auf dem Boden stehendes Arbeiterkind. Er ein naiver, etwas spießiger und nicht besonders mutiger Mittelklassenjunge.
Manchmal, und das ist eine beachtliche Leistung, schaffen sie es, die Zuschauer mit ihrem Schicksal wirklich zu erreichen. Aber meistens gehen sie unter in ihrer flachen Umgebung. Gerade eine episodenhafte Erzählweise braucht packende, punktgenaue Momentaufnahmen, die in der Magengrube des Zuschauers ankommen.
Leider bleibt auch das, was im Roman eine präzise Beschreibung eines sozialen Umfelds ist, in Trier ein Mutantenstadel absurder Figuren - übrigens durchaus mit Lust skizziert von Sabine Brandauer, Barbara Ullmann, Vanessa Daun, Michael Ophelders, Tim Olrik Stöneberg, Klaus-Michael Nix, Peter Singer, Jan Brunhoeber und Daniel Kröhnert. Aber wenn man in einem solchen Stück Lacherfolge noch am ehesten durch das Nachempfinden alter Loriot-Sketche erzielt, kann etwas nicht stimmen.
Eisige Ästhetik


Dabei wäre mehr drin gewesen. Zum Beispiel in der eisigen Ästhetik des Bühnenbilds von Dirk Immich. Atmosphäre gibt es nur via Großbildschirm, von dem Baby-Ultraschallbilder oder bunte Werbebanner flimmern. Romantik? Fehlanzeige. In rasendem Wechsel zieht das Leben der anderen vorbei, das junge Paar Lämmchen und Pinneberg kommt einfach nicht mit bei den Aufsteigerträumen vom schicken Mobiliar und der kleinen Urlaubs-Flugreise. Sie versinken im Niemandsland zwischen der Warenwelt und der wahren Welt.
Umwerfend die Kostüme von Claudia Caséra. Da bewegen sich Dauerläufer in Cindy-aus-Mahrzahn-farbenen Jogginganzügen entlang ihrer abgesteckten Strecken, da treiben grelle Verschnitte der Jacob-Sisters ihr Unwesen.
Aber am Ende stimmt der Mix nicht. Die verschiedenen Ebenen finden nicht zusammen. Zu viel Trallala, zu wenig Fallada. Man hat im Trierer Theater schon mal begeisterteren Beifall gehört.
Weitere Vorstellungen sind am 8., 10., 12., 16, 20., 23., 31. März, 6., 11., 14., 28. April, und am
5. Mai.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort