Zu zweit gegen die Einsamkeit

Experiment gelungen! Das Theater Trier erobert nicht nur die kleinen Bühnen der Stadt. In dieser Spielzeit wagt es sich hinein in die profane City. Mit Erfolg. Die Tragikkomödie "Josef und Maria" erhält durch das Flair im Modehaus Marx eine Intensität, die sie im Theater nur verlieren könnte.

 „Fest der Liebe“: Anfänglich nur auf sich selbst bedacht, kommen sich Maria (Angelika Schmid) und Josef (Hans-Peter Leu) näher. TV-Foto: Friedemann Vetter

„Fest der Liebe“: Anfänglich nur auf sich selbst bedacht, kommen sich Maria (Angelika Schmid) und Josef (Hans-Peter Leu) näher. TV-Foto: Friedemann Vetter

Trier. Außergewöhnliche Stücke bedürfen außergewöhnlicher Spielorte. Und so hat das Theater Trier folgerichtig Peter Turrinis "Josef und Maria" in das Modehaus Marx verlegt. Die Szenen, die sich zwischen Kleiderständern mit aktueller Mode und weihnachtlichen Requisiten abspielen, würden selbst im intimen Studio kaum so realistisch wirken.

Auf den Stühlen vor dem Treppenabsatz, der als Bühne dient, sitzen die 65 Zuschauer - die Premiere ist ausverkauft - hautnah am Geschehen. Fast voyeuristisch erleben sie die Tragik des "Fests der Liebe" mit, an dem zwei alte und einsame Menschen sich nach Ladenschluss begegnen: die Putzfrau Maria Patzak, deren Sohn sie an Heiligabend ausgeladen hat, und der Nachtwächter Josef Pribil, der "letzte aller Genossen". Brillant spielt Angelika Schmid die deprimierte Frau, die sich ein "Schluckerl gegen das Alleinsein" gönnt. "Wo gehört man denn hin, wenn man zu niemandem hingehört?"

Es sind starke Persönlichkeiten, die da aufeinandertreffen: die ehemalige Varietékünstlerin, die immer tanzt, wenn etwas sie bewegt - herrlich die "altersbedingt" steif-graziösen Bewegungen von Schmid - und der intellektuelle Sozialist, dem alles Heilige zuwider ist. Hans-Peter Leu bringt mit seinen sinnentleerten Politikparolen, die starke missionarische Tendenzen zeigen, das Publikum zum Lachen. Besonders stark ist er jedoch in den Passagen, die zum Nachdenken regelrecht auffordern. Etwa, wenn er von seinen trinkenden, schlagenden Zieheltern erzählt.

Zwiebelschalenartig entblößen Maria und Josef voreinander die Geheimnisse ihres Lebens, die Krisen, Ängste, Wünsche, Träume. Vergangenheit mischt sich mit Gegenwart, Sentimentales mit Härte, Tragisches mit Komischem, dass dem Zuschauer das Lachen gefriert. Wenn etwa Maria auf die böse Schwiegertochter schimpft und ihre Einsamkeit zutage tritt. Oder wenn Josef von seiner Zeit als Statist am Schauspielhaus erzählt. Unverfänglich hingegen die Szene, in der er ihr umständlich und hölzern das "Duwort" anbietet. Da erntet jede Geste, jedes Wort laute, erleichterte Lacher.

Ist anfangs noch jeder mit sich selbst beschäftigt, öffnen sie sich nach und nach für die Not des anderen, spenden einander Trost, kommen sich näher - auch körperlich, erst beim Tangotanzen, dann in dem von Maria herangerollten Bett. Da werden sie wieder jung, die verrückten Alten und feiern auf ihre Art das "Fest der Liebe".

Florian Burg hat mit seiner Inszenierung ein authentisches Werk geschaffen, in dem das Publikum die von Turrini nach Originalpersonen gestalteten Figuren selbst entdecken kann - und muss. Schmid und Leu packen in jeden Satz so viel Leben, dass der Zuschauer mitgerissen wird, zwischen Trauer und Freude schwankt. Ein Theaterabend, dessen Intensität das Publikum mit frenetischem Beifall belohnt.

Weitere Termine: 26. November, 2., 8., 15., 22. und 29. Dezember, im Modehaus gegenüber der Basilika, jeweils um 20 Uhr.

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