Zum Beifall hingerissen

TRIER. Einen Liederabend von außerordentlicher Qualität und hohem Erinnerungswert bescherten Diana Damrau, Iván Paley und Stephan Matthias Lademann dem Trierer Publikum. Dabei erwiesen sich die Sopranistin, der Bariton und der Pianist als gleichwertiges und gleichberechtigtes Trio.

Liederabende haben ihre eisernen Regeln. Dazu gehört, dass das Publikum, wenn es sich nicht dem Verdacht des Banausentums aussetzen will, keineswegs dann applaudiert, wenn ihm etwas gefallen hat, sondern nur, wenn die jeweiligen Programmblöcke zu Ende sind. Manchmal hat das seinen Sinn. Gelegentlich ist es aber einfach zu viel verlangt. Einen Schumann-Block lang hält das fachkundige Publikum im voll besetzten Rokoko-Saal des Kurfürstlichen Palais die selbst auferlegte Applaus-Zurückhaltung aus. Aber dann reißt Diana Damraus Interpretation von Hugo Wolfs "Er ist's" die Zuhörer buchstäblich zum Klatschen hin, gegen jede Regel. Konzertchor-Chef Manfred May als Veranstalter hält eine kleine Standpauke - um sie dann vor lauter Begeisterung nach dem nächsten Lied eigenhändig zu ignorieren. Nicht nur deshalb ist der Liederabend des jungen Duos Damrau/Paley eine Kampfansage an die erstarrten Rituale des Liedgesangs. Es wird gespielt, dass es eine Wonne ist, mit reicher Gestik und Mimik, mit hintergründigem Humor, mit Augenflirts und Augenzwinkern. So entsteht wieder, was die Lieder von Schumann, Wolf oder Mahler einst waren, bevor sie zu Kunstgebilden und Stil-Übungen mumifiziert wurden: Lebendige, spannende Geschichten, bei denen man zuhört, mitfiebert, lacht und leidet, statt verkrampft auf Ebenmaß und Distinktion des Vortrags zu achten.Intelligent komponiertes Programm

Dabei werden sängerische Vielfalt und sprachliche Präzision zu keinem Zeitpunkt auf dem Altar des Effekts geopfert. Diana Damrau und Iván Paley gehen sorgfältig mit dem Wort um, bei Hugo Wolfs Mörike-Liedern genau so wie bei den ausgewählten Preziosen aus "Des Knaben Wunderhorn". Mahlers Original-Version für zwei Stimmen und Klavier verleihen sie eine derartige Plastizität und einen Farbenreichtum, dass man zweifelt, ob eine Orchesterfassung damit konkurrieren kann. Das Programm ist intelligent zusammengestellt, bietet ein breites Spektrum und vermeidet dennoch Brüche. Mögen die Texte bisweilen sprachlich antiquiert wirken, die Themen, die sie ansprechen, sind so modern und frisch wie die Akzente, die Stephan Matthias Lademann am Klavier setzt. Sein Agieren ist mehr als Begleiten, da herrscht produktive Hochspannung zwischen dem Mann am Flügel und seinen Mit-Interpreten. Vollends staunen lässt die sängerische Leistung. Diana Damrau bleibt keinen Deut hinter den hohen Erwartungen zurück. Eine brillant geführte Stimme, die alle Schattierungen erlaubt, vom expressionistischen Aufschrei in "Das irdische Leben" bis zum nunancierten Stimmungsbild in "Das himmlische Leben". Wenn sie Wolfs "Süße, wohlbekannte Düfte" beschwört, liegt der Wohlgeruch förmlich in der Luft. Kein Wunder, dass sich die großen Häuser um sie reißen. Die Sensation des Abends aber ist Iván Paley. Man zieht am nächsten Tag seine Internet-Homepage (empfehlenswert: www.ivan-paley.com) zu Rate, weil man der Auskunft des Programmhefts, er sei Argentinier und erst 25 Jahre alt, einfach keinen Glauben schenken mag. Ein derart sprachgenauer, ausdrucksfähiger, stilsicherer Liedersänger mit einer höchst individuell timbrierten Stimme, die baritonale Männlichkeit mit geradezu tenoralem Schmelz verbindet: Danach muss man lange suchen. Und weil offenkundig reichlich darstellerisches Talent hinzu kommt, gehört wenig Risiko dazu, Iván Paley eine ganz große Karriere zu prophezeien.

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