Zurück in der Zukunft: Frieren, Tanzen, Suhlen, Trinken

NÜRBURGRING. 20 Jahre Rock am Ring in der Eifel: Das sind zwei Jahrzehnte feiern, frieren, suhlen, tanzen, trinken. Wieder pilgerten über 70000 Rock-Fans wegen R.E.M., Iron Maiden, Marilyn Manson und 80 weiteren Bands an den Nürburgring.

Ein Gedankenspiel, frei erfunden: Es ist Mai 1985 auf dem Nürburgring. Gerade ist die Premiere von "Rock am Ring" über die Bühne gegangen. Ein 20-Jähriger - vielleicht Peter aus Daun - beschließt nach dem Konzert spontan, seine nächsten zwei Jahrzehnte als Eremit zu verbringen. Einfach so. Ohne Kontakt zu irgendeinem Menschen. Das klingt unrealistisch, passt aber gut in eine Zeit, in der sich David Hasselhoff bevorzugt mit dem Armaturenbrett seiner schwarzen Proll-Schleuder unterhält und in der sich die Tagträume gern aus "Zurück in die Zukunft" speisen. Zurück in der Zukunft ist Rock am Ring auch 20 Jahre später. Was wäre, wenn Eremiten-Peter am vergangenen Wochenende erstmals wieder unter die Menschen gegangen wäre, seine Rückkehr in der ,grünen Hölle'? Er wäre überrascht, wie wenig sich verändert hat. Die Mauer ist zwar weg. Kohl auch. Der Terminator (immerhin nicht "Knight Rider") ist kalifornischer Gouverneur. Na und? Die Biermarken sind die gleichen geblieben. Trink- und Kleinwagen-Schlafgewohnheiten auf dem "Ring" auch. Mark und Gulden sind zwar verschwunden. Wir waren das Volk, sind neuerdings Papst und wenn man heute ,Hartz' hört, klingt das eher nach Angst als nach Kegeltour. Aber die Hauptgruppen sind die gleichen wie früher. Iron Maiden, Slayer, Mötley Crüe, R.E.M., Billy Idol und die Toten Hosen (als Überraschungsgast am Sonntagabend) - sie alle rockten in diesem Jahr auf der Hauptbühne, als gebe es kein Gestern. Alle waren 1985 schon mehr oder weniger große Nummern im Pop- und Metalgeschäft. Einem Geschäft, bei dem das Haltbarkeitsdatum vieler Bands mit keiner Dosensuppe konkurrieren kann. Iron Maiden & Co. sind nicht kleiner geworden. Nicht schlechter, nicht weiser, nicht anders, nur älter. Jede Generation mag ihre eigene Krankheit und ihre eigenen Helden haben. Echte Rock-Helden überwinden die Generationen. Und wenn sie dafür ewig zu enge Hosen tragen müssen. Mötley Crüe etwa sind so etwas wie der Soundtrack zum "Praline"-Lesen, sie posen immer noch wie damals. Slayer sind brachial wie immer, Iron Maiden der Inbegriff der Beständigkeit. Und: Natürlich regnet es auch ständig auf dem "Ring", ob nun sauer oder nicht. Alles kommt und geht in Wellen. Geht wieder, kehrt zurück. Comedy war zwischenzeitlich auch bei Rock am Ring angesagt, Hip Hop in den letzten Jahren auch schon. In diesem Jahr mussten sich "Fettes Brot" als Hip-Hop-Vertreter recht einsam vorkommen, auch wenn das Genre beliebt ist: Rock am Ring bleibt seinem Namen treu. Heavy Metal-Gruppen in allen Kategorien, aber auch viele aufstrebende Alternative-Bands gaben den Ton an. Heavy Metal gibt den Ton an

Zugegeben: Der Großteil der über 80 Bands auf den drei Bühnen war zu Ringrockers Gründerzeiten noch nicht bühnenreif. Nur wenige werden in 20 Jahren noch eine Rolle spielen. Deutsch zu singen war vor zwei Jahrzehnten - kurz nach dem Tod der Neuen Deutschen Welle - auch alles andere als cool. Diesmal sind mit Kettcar, Tomte, Madsen oder den radiofreundlicheren Silbermond oder Wir sind Helden gleich eine ganze Reihe deutschsprachiger Rockbands vor Ort. Ein Abräumer des Festivals ist zwar schon lange im Geschäft, aber noch keine 20 Jahre: "Green Day" spielen am Freitagabend auf der Hauptbühne alles an die Wand. Die Band befreite sich locker aus der Teenie-Punkfalle, erweitert so ständig ihren Fan-Kreis und legte mit "American Idiot" die wohl erste Punk-Oper der Musikgeschichte vor. Sänger Billie Joe Armstrong castet sich aus dem "Ring"-Publikum eine Band zusammen, die auf der Bühne ein Stück spielen darf. Der ausgewählte Gitarrist hat doppeltes Glück: Er darf sich nicht nur unverhofft bejubeln lassen, sondern bekommt von "Green Day" auch noch die Gitarre geschenkt. R.E.M. hat danach einen schweren Stand. Nicht nur, weil das schon Stunden zuvor angekündigte Unwetter seine ganze Kraft für die US-Amerikaner aufgespart hat. Sänger Michael Stipe ist solidarisch und "wird so nass wie noch nie in den letzten 25 Jahren auf der Bühne". Trotzdem: Der Funke springt nie richtig über. Da hilft es wenig, dass Stipe & Co. zumindest gegen Ende besser werden.

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