Zuschauer als Richter am Trierer Theater: Inszenierung "Terror" zwingt Theaterbesucher zur Entscheidung

Trier · Wenn an diesem Freitag Ferdinand von Schirachs Stück "Terror" in der Inszenierung des Trierer Theaters Premiere feiert, dann ist das Publikum gefragt. Es entscheidet per Wahlzettel darüber, ob eine Soldatin wegen Mordes verurteilt wird. Zeitgleich entscheiden vermutlich Tausende in Deutschland und anderen Ländern über dieselbe Frage.

Trier. Bei diesem Stück kann sich der Zuschauer nicht einfach bequem zurücklehnen. Entschlusskraft ist gefragt - und Verantwortung. Denn von der Entscheidung jedes Einzelnen im Publikum hängt ab, wie das Stück ausgeht. "Terror" von Ferdinand von Schirach handelt von der Grenzsituation, wie sie seit 9/11 und dem Anschlag auf Charlie Hebdo in Paris so unrealistisch nicht ist; Ein Bundeswehrsoldat schießt eine gekaperte Lufthansa-Maschine ab, deren Entführer ein mit 70 0000 Menschen vollbesetztes Fußballstadion ansteuert. Die 164 Passagiere kommen ums Leben. Die Staatsanwaltschaft klagt den Schützen - in der Trierer Inszenierung von einer Frau gespielt - des Mordes in 164 Fällen an, die Verteidigung - in Trier ebenfalls weiblich besetzt - fordert einen Freispruch.Motto: So echt wie möglich


Nach ihrem Plädoyer hat sich die Soldatin in der tragischen Abwägung zwischen 164 und 70 000 Menschleben für die Rettung der Mehrheit entschieden.
Von Schirachs "Terror" ist derzeit das meistgespielte Stück an deutschsprachigen Bühnen. Es spielt im Gerichtssaal - da war es naheliegend, dass der Trierer Intendant Karl Sibelius seine Inszenierung in den Großen Saal des Landgerichts verlegt hat. Der Ort sollte nicht wie eine Bühne wirken, sondern naturalistisch der Szenerie des Stücks so nah wie möglich kommen. Und auch bei der Wahl der Schauspieler setzt der Regisseur auf Authentizität: Die acht Darsteller sind Laien, ihre Aktionen sollen untheatralisch, echt, wirken. "Eine bessere Besetzung hätten wir nicht finden können", ist Krisztina Horváth überzeugt. Die Dramaturgin und Produktionsassistentin hat für die letzten zwei Probenwochen die Regie vom erkrankten Sibelius übernommen. Bei der Arbeit ist ihr wichtig, dass da nichts gekünstelt wirkt und die Darsteller ganz unbefangen agieren.
Die Schauspieler gehen in ihren Rollen auf. "Ich liebe das Stück", gesteht Tanja Finnemann, die als Angeklagte emphatisch für ihren Freispruch wirbt. Bei der Probe versucht sie, sich selbst aus den echten Handschellen zu befreien, die das Theater besorgt hat, was gar nicht so einfach ist. Der Lehrerin merkt man die Erfahrung im Trierer Katz-Theater an. Auch die meisten anderen Darsteller haben Schauspiel-Erfahrung. "Terror" haben sie monatelang geprobt und diskutiert, haben die Argumentationen von Staatsanwältin - auch eine Frau - und Verteidigerin gegeneinander abgewogen und sich innerlich mal so und mal anders entschieden. Abstimmen werden sie nicht - sie helfen bei der Auszählung der Stimmen. "Ich bin jedes Mal hin- und hergerissen", sagt Brigitte Elsen, die die Protokollführerin spielt. Das Ensemble hat sich auf zwei Stimmergebnisse vorbereitet. Und was ist, wenn es ein Patt gibt? Dann entscheidet die Stimme des Vorsitzenden Richters. Hans-Georg Meyer, von Beruf Biologe, wäre dann das Zünglein an der Waage. Eine juristische Ausbildung ist für ein Votum nicht vonnöten.

Premiere: 14. Oktober, 19.30 Uhr., Landgericht Trier. Weitere Vorstellungen: 21. und 28. Oktober, 4., 11. und 25. November, 17. März 2017, jeweils um 19.30 Uhr.Extra

Das Gerichtsdrama "Terror" von Ferdinand von Schirach läuft am Freitag, 14. Oktober, nicht nur am Theater Trier (Beginn: 19.30 Uhr, Landgericht, Dietrichstraße). Zeitgleich läuft es auch als Filmversion ab 20 Uhr in Kinos in rund 100 deutschen Städten, darunter auch im Cinemaxx-Kino in Trier (20 Uhr). Die Inszenierung, produziert von Oliver Berben in der Regie von Lars Kraume, ist prominent besetzt: Die Darsteller sind Burghart Klaußner (als Vorsitzender Richter), Martina Gedeck (Staatsanwältin), Florian David Fitz (Angeklagter), Lars Eidinger (Verteidiger), Jördis Triebel und Rainer Bock. Laut der Produktionsfirma Constantin Film werden die Zuschauer erstmalig "Teil eines nie dagewesenen Kinoexperiments und entscheiden live im Kinosaal über den Ausgang des Films, des Prozesses und damit über das Schicksal des Angeklagten". Der Film kommt drei Tage später auch ins Fernsehen. Die ARD strahlt das Stück am Montag, 17. Oktober, 20.15 Uhr, aus. Zeitgleich läuft das Stück im Schweizer Fernsehen sowie in Österreich (ORF). Auch dabei stimmen die Zuschauer über den Ausgang des Films ab. Im Anschluss vergleicht Frank Plasberg in seiner Fernseh-Sendung "Hart aber fair" die Abstimmungsergebnisse der Länder und erörtert das Ergebnis. Trailerlink: youtu.be/iVVXTtiZqzcDas Stück "Terror" steht in den Spielzeiten 2015/16 und 2016/17 im Spielplan von 54 Theatern und war bereits an vielen großen Bühnen wie in Berlin, Hamburg und München zu sehen. Neben vielen Theatern in Deutschland, der Schweiz und Österreich wurde es bereits in Israel, Ungarn, Slowenien, Dänemark, Venezuela und Japan inszeniert. Eine eigens eingerichtete Homepage ( terror.theater/de ) der Gustav Kiepenheuer Bühnenvertriebs-GmbH zeigt ständig aktualisiert die Ergebnisse der Vorstellungen und bietet eine Übersicht über die Vorstellungen weltweit. Bis gestern Nachmittag waren dort 156 799 Schöffen verzeichnet, die bereits bei einer "Terror"-Vorstellung abgestimmt haben, 59 Prozent der Laienrichter stimmten für einen Freispruch. Volksfreund.de wird am Freitagabend nach der Abstimmung des Premieren-Publikums über das Ergebnis berichten.aheu

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