Zwei Bühnentiere nehmen Abschied

Trier · Gemeinsam repräsentieren sie mehr als ein halbes Jahrhundert Trierer Theater. 37 Jahre am Stück gehörte Manfred-Paul Hänig zum Ensemble, 17 Spielzeiten in drei Etappen war Peter Singer mit dabei. Zum Saisonende gehen beide Veteranen in den Ruhestand.

Trier. Als sie anfingen, war die Theaterwelt noch eine andere. 1975 schlug Peter Singer seine Zelte erstmals in Trier auf, für ein paar Übergangsmonate zwischen Zivildienst und Theaterkarriere. 1977 kam Manfred-Paul Hänig aus Bochum, wo er mit Peter Zadek und Herbert Grönemeyer gearbeitet hatte. Zwei Kinder der 68er-Zeiten, aufmüpfig, auf der Suche nach einem neuen Theater. Mit Giganten wie Peter Stein und Claus Peymann als Hausgötter.
Zoff mit Politik und Publikum


"Das Theater war früher frecher", sagt Peter Singer, und sein Kollege Hänig nickt zustimmend. Klingt nach "Früher war mehr Lametta". Aber wenn sie dann reihenweise zeitgenössische Stücke aufzählen, die in den Siebzigern und Achtzigern in Trier zu sehen waren (im damals starken Studio wie im Großen Haus), wenn sie sich an heftige Diskussionen mit dem Publikum und Zoff mit der Politik erinnern: Dann schimmert eine Zeit auf, in der das Theater die gesellschaftliche Rolle tatsächlich noch spielte, die es heute für sich reklamiert.
Hänig und Singer haben in Trier weit mehr als 200 Partien gespielt, oft standen sie dabei gemeinsam auf der Bühne. Und doch sind sie einander persönlich eher fremd. "Rauchst du nicht mehr?", fragt Singer. "Seit 18 Jahren", lautet die Antwort. Dafür wundert sich Hänig, dass sein Kollege einen Auto-Führerschein besitzt. "Hätte ich nicht gedacht", sagt er. Man habe sich wohl deshalb im Job immer gut verstanden, vermuten beide, "weil wir privat weitgehend getrennte Wege gegangen sind".
In der Tat könnten die beiden Rentner in spe, die einträchtig beim Kaffee vor der Theaterkneipe Astarix sitzen, kaum unterschiedlicher sein. Hier Peter Singer, der Mann für die schwierigen Charaktere, immer mit einem Schuss Wahnsinn in seinen Rollen. Ein intellektueller Interpretierer, unermüdlicher Diskutierer, politischer Reflektierer mit hundert Gedanken im Kopf. Dort Manfred-Paul Hänig, Gemütsmensch, Instinktschauspieler, unaufgeregt, eher Sunnyboy als Hamlet. Ein bisschen Macho, aber mit Augenzwinkern. Einer, dem man anmerkt und ansieht, dass er sich das Leben einzurichten weiß.
Eines eint beide: Ein phänomenales Gedächtnis, wenn es um ihre Theaterarbeiten geht. Peter Singer hat ein computergenaues Erinnerungsvermögen, Namen, Daten, Fakten sprudeln förmlich aus ihm heraus. Manfred-Paul Hänig kann sich vor allem an die Emotionen erinnern, die es rund um die Produktionen gab.
Wenn beide loslegen, fliegt dem geneigten Zuhörer die Trierer Theatergeschichte förmlich um die Ohren. Reim und Remy, Pohl und Mützel, Kloth und Stromberg: alles Legenden, mal in guter, mal in weniger guter Erinnerung. Eigentlich müsste man beide ins Foyer setzen und einen Abend lang erzählen lassen - an Publikum würde es nicht fehlen.
Ob das alles immer angenehm wäre für die verantwortlichen Theatermacher, steht freilich auf einem anderen Blatt. Regisseure und Dramaturgen kommen im Rückblick des Schauspieler-Duos nicht gut weg. "Mal zu wenig Konzept, mal zu wenig Konsequenz", urteilt Singer, der selbst öfter Regie geführt hat. Er sei froh, wenn er in seiner Karriere auf zwei Handvoll richtig guter Regisseure komme, setzt Hänig noch einen drauf. Nicht viel, wenn man in 150 Stücken gespielt hat.
Meilensteine des Theaters Trier


Um so toller, wenn die Chemie zwischen Spielleiter und Akteur stimmt. Wie bei Singers großen Brecht-, Zuckmayer- und Dürrenmatt-Interpretationen mit dem knorrigen Horst Ruprecht. Oder seinem Antikenfestspiel-Kreon unter Adelheid Müther. Hänig lobt im Gegenzug Werner Baer, Walter Weyers oder die Luxemburger Koproduktionen in der Regie von Andreas Baesler. Meilensteine des Trierer Theaters.
Es sei "ein grandioses Gefühl, wenn man hundertprozentig hinter einer Inszenierung steht", betonen beide. Und lassen mit ihrer Gestik und Mimik keinen Zweifel daran, dass das nicht allzu oft vorkommt. Warum sie ihren Job trotzdem ein Leben lang gemacht haben? "Schauspieler müssen halt einen an der Klatsche haben", lautet die gemeinsame Antwort.
Manfred-Paul Hänig wird in Trier bleiben, wo er einst seine Frau kennengelernt hat. Peter Singer kehrt nach Baden-Württemberg zurück, wo seine Frau ihn lange mit dem Theater geteilt hat. Hänig will auf große Motorradtour gehen, wird als Gast aber weiter Theater machen. Singer kann man sich schwerlich ohne seine fundierten Leseprojekte vorstellen. Bühnentiere bleiben Bühnentiere - ein Leben lang.
Letzte Chance, beide im Theater Trier zu erleben: "Das Sparschwein", 12., 15. und 18. Juli.

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