Zweimal die Erste

Es ist eine spannende, künstlerisch anregende, aber auch riskante Konstellation: Ein spanischer Dirigent und ein durchweg französisch geprägtes Orchester wagen sich an das deutsch-österreichische Komponisten-Monument Anton Bruckner. Luxemburgs Orchestre Philharmonique und Chefdirigent Gustavo Jimeno beschränken sich dabei nicht auf eine konzertante Aufführung, sondern halten ihre Interpretation von Bruckners Erster auf CD fest - gewissermaßen für die Ewigkeit.

Zweimal die Erste
Foto: Martin Möller (mö) ("TV-Upload M?ller"
Zweimal die Erste
Foto: Martin Möller (mö) ("TV-Upload M?ller"


Wer Bruckner aus dem Spektrum deutscher Interpretationen kennt, ist bei dieser Einspielung zunächst irritiert. Fehlen da nicht die charakteristisch Bruckner'sche Introvertiertheit und Innigkeit?
Gehen Gimeno und sein Orchester langsame Passagen nicht allzu rasch, allzu nüchtern-offensiv an?
Vernachlässigen die Interpreten vielleicht die Vokalnähe von Bruckners Stil, die Nähe der Sinfonik zu den großen Messkompositionen in e-Moll und f-Moll?
Doch wer sich in diese CD Schritt für Schritt einhört, entdeckt bei Gimeno neue, schlüssige Interpretations-Ansätze. Der Beginn der Sinfonie und auch das Finale strahlen eine sachte, ganz undemonstrative Tanznähe aus. Überhaupt klingt bei den Luxemburgern eine romanisch geprägte Eleganz mit.
Es ist ein freundlicher, oft sinnenfroh-beschwingter Bruckner. Als Alternative zur deutschen Tradition kann diese aufnahmetechnisch exzellente CD zweifellos bestehen. Auch in einer zweiten, gleichfalls technisch perfekten CD-Veröffentlichung mit der Ersten von Schostakowitsch zeigt sich: Unter Gustavo Gimeno befindet sich das Orchestre Philharmonique auf dem Weg zu einer erstaunlich beweglichen und klangtransparenten Formation.
Gimeno setzt auf die kammermusikalischen Feinheiten dieser Komposition, die Schostakowitsch 1923 bis 1925 als Abschluss seiner Leningrader Studienzeit schrieb. Nichts kommt aufgeblasen und überlaut daher.
Die OPL-Mitglieder breiten ein subtiles Klanggeflecht aus, das auch in den wenigen Tutti-Stellen nichts verliert von seiner Transparenz.
Ohnehin: Die Erste präsentiert einen anderen Schostakowitsch. Sie bleibt noch frei von der politischen Last, die der Komponist Zeit seines Lebens schultern musste. Wie hätte sich die Musik des großen Russen wohl entwickelt ohne den Klammergriff des "sozialistischen Realismus"?
Martin Möller
Anton Bruckner, Sinfonie Nr. 1, Orchesterstücke Bruckner-Werkverzeichnis 96 und 97.
Dimitri Schostakowitsch, Sinfonie Nr. 1, Orchesterstücke op. 1, 3, 7 und 42.
Orchestre Philharmonique du Luxembourg, Leitung Gustavo Gimeno. Pentatone PTC 86 613 (Bruckner), Pentatone 5186 622 (Schostakowitsch). Erhältlich im CD-Handel (Vertrieb von Naxos Deutschland).

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