Zwischen Bank und Strafraum

Luxemburg · Deutschlands wichtigster lebender Dramatiker, ein ehemaliger Fußball-Nationalspieler, ein einstündiger Monolog über das Spiel mit und ohne Ball: Aus diesen Zutaten hat das Grand Théâtre Luxemburg einen ungewöhnlichen Theaterabend gestrickt.

Luxemburg. Jeder, der einmal aktiv Fußball gespielt hat, schleppt ein Trauma mit sich herum. Der spielentscheidende Fehler, die missglückte Parade, die verpasste Chance, das dumme Foul. Der folgenreichste Fall dürfte der vergebene Elfmeter von Uli Hoeneß im EM-Finale gegen die Tschechoslowakei 1976 sein, unter dem die Konkurrenten von Bayern München bis heute zu leiden haben.
Das Trauma von Altkicker Uwe ist eine Auswechslung. Sein Amateurverein hatte sich bis ins Halbfinale des DFB-Pokals durchgekämpft, führte kurz vor Schluss mit 1:0 - ausgerechnet durch ein Tor von Uwe, dem beinharten Defensivspieler, dem Manndecker, der doch eigentlich nur dafür zuständig war, dass hinten die Null stand. Und dann nimmt ihn sein Trainer raus, setzt ihn auf die Bank. Prompt schießt Uwes Gegenspieler, der brasilianische Superstar, den er zuvor abgemeldet hatte, den Ausgleich. Und beim Elfmeterschießen versagt genau der Spieler, der für Uwe eingewechselt wurde.
Aus. Vorbei. Nix "Wir fahren nach Berlin", keine große Profikarriere, Uwe landet auf dem Abstellgleis, das Spiel ohne Ball ist nichts für ihn. Am Ende überfällt er eine Luxemburger Bank, nimmt eine Brokerin als Geisel und verschanzt sich mit ihr an der Stätte früherer Triumphe: im Stadion.
Jimmy Hartwig ist dieser Uwe, dessen Lebensgeschichte als einstündiger Monolog aus ihm herausbricht. Ein bisschen ist er sicher auch Jimmy Hartwig, Ex-Nationalspieler, Ex-Dschungelcamp-Bewohner, mal ganz oben, mal ganz unten, vom Leben gebeutelt wie Uwe. Albert Ostermaier, ein begnadeter Dramatiker und gnadenloser Fußballfan, hat Hartwig dieses Stück auf den Leib geschrieben - oder sagen wir: punktgenau in den Lauf gepasst.
Philosophieren über Fußball


Für Fußballkenner ist das ein Eldorado der Anspielungen und Randnotizen, ein Spiel mit den Namen und Lebensgeschichten großer Kicker. Mal skurril, wie bei Lothar Matthäus, mal tragisch, wie bei Erwin Kostedde, dem ersten dunkelhäutigen deutschen Nationalspieler, oder - wie Hartwig/Ostermaier es wunderbar politisch unkorrekt formulieren - der erste "Bimbo mit Adler".
Jimmy Hartwig ist kein Schauspieler. Das macht er wett durch bemerkenswerte persönliche Präsenz und eine Art von Authentizität, die kein noch so guter Profi-Mime einbringen könnte. Er bewegt sich erstaunlich geschickt und agil in dem grünen Strafraum, den ihm Regisseur Victor Joe Zametzer als Spielfläche unterlegt hat - und mit einer selbstbewussten Souveränität, die kleinere Mängel locker überspielt.
Ein Problem ist freilich das Sprechen. Ostermaier ist ein Meister der beziehungs- und wendungsreichen Sprache, der Doppelbödigkeit und der Finte. Seine Texte umzusetzen bedarf eines Sprechers mit den technischen Fähigkeiten eines Wolfgang Overath. Hartwig ist da näher an Katsche Schwarzenbeck.
Die Regie hat Ostermaiers Vorlage erheblich gerafft, allzu fein Ziseliertes rausgelassen, Deftiges hervorgehoben - weniger Beckenbauer, mehr Vogts. Aber so wird die Sache für Hartwig spielbar, ohne dass man je das Gefühl hat, er deklamiere einen Text, der ihm fremd bleibt.
Natürlich darf auch die Fußball-Philosophiererei nicht fehlen, mal tiefgründig, mal augenzwinkernd-klischeehaft. Kein intellektuelles Wortgeklingel - Ostermaier liebt die wunderbare Welt des Fußballs viel zu sehr, um sich über sie zu erheben. In diesem Stück übrigens, nicht mehr ganz zeitgemäß, eine reine Männerwelt, in der Sylvia Camarda als unfreiwillige Zuhörerin auf die stumme Opferrolle reduziert bleibt, die sie mit prägnanter Körpersprache spielt.
Am Schluss entwickelt sie sogar Sympathie für ihren Entführer - was dessen tragisches Ende nicht verhindert. Reichlich Beifall im gut besuchten Studio des Grand Théâtre, vor allem für den nach Spielende etwas ausgepumpten Hauptdarsteller, aber auch für den eigens angereisten Autor.
Weitere Vorstellung am Montag, 13. Januar, 20 Uhr, im Grand Théâtre. Karten gibt es im TV-Service-Center Trier und an der Abendkasse.

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