Zwischen Liebeslied und Lebensbilanz

TRIER. Entertainer, Sänger, Poet: Herman van Veen zog bei seinem ersten Trier-Gastspiel seit 13 Jahren alle Register. 1200 Zuschauer in der ausverkauften Europahalle waren beim vom TV präsentierten Konzert hingerissen.

Eine Stimmung so erwartungsvoll wie beim Kindergeburtstag. Man weiß, dass es gleich Geschenke gibt, aber keiner kann sagen, was sich in der Verpackung verbirgt. Zu Herman van Veen geht man paarweise, und viele Erinnerungen gehen mit, manche Melodien ziehen durch den Hinterkopf. Ob er wohl "Ein zärtliches Gefühl" spielt, oder "Anne", oder "Kleiner Fratz"? Die Stimmung ist entspannt, die meisten Zuschauer sind in einem Alter, wo man keinen Babysitter mehr braucht. Die Kinder daheim sind erwachsen geworden, seit man die letzte Van-Veen-Platte gekauft hat. Jene Kinder, von denen sicher das eine oder andere seine Existenz indirekt der beziehungsstiftenden Zauberkraft des Poeten aus Utrecht verdankt. Der Vorhang geht auf, die Bühne ist bemerkenswert schmucklos. Ein großer Fensterrahmen im Hintergrund, die - ausnahmslos akustischen - Instrumente davor. Bald wird Herman van Veen aus schwarzen Hüten hunderte weißer Tischtennisbälle über den Boden purzeln lassen. Und ein gasgefüllter Luftballon, den er überredet hat, nicht an die Decke zu steigen, schaukelt sanft hin und her. Das ist es schon mit der Dekoration. Den Rest machen die Menschen auf der Bühne. Ständig ändern die Musiker ihre Formation, messen für jedes Lied den Raum neu aus. Herman van Veen stöckelt nicht mehr in roten Pumps über die Bühne, aber ruhiger ist er nicht geworden. Er grimassiert, parodiert, philosophiert, tanzt, hüpft. Manchmal macht er auch einfach nur Quatsch, erzählt Witze, die sich auf der gleichen Bühne auch im Rahmen der "Heuschreck"-Sitzung komfortabel unterbringen ließen. Und dann folgt unversehens ein melancholisches Liebeslied, so schnell und nahtlos, dass das Publikum die Luft anhält, um den Stimmungswechsel nachzuvollziehen. Die Themen haben sich gewandelt, klar. Der Sänger ist 61, da drehen sich die Geschichten eher ums Großvater-Dasein als um die erste Liebe. Vieles klingt nach Lebensbilanz, gezogen mit wunderbarer (Selbst-)Ironie. Aber da ist auch der politische van Veen, nicht mehr so veränderungs-optimistisch wie einst, eher geprägt von tiefer Skepsis. "Der Hunger in der Welt ist immer noch genau so groß wie früher, und die Politik genau so beschissen", zieht er singend Bilanz. Und seine "afrikanische Version" eines lustigen Kinderliedes, mit dem Refrain "Bevor du es merkst, ist das Kind schon tot", lässt dem Publikum das Lachen aus der Kehle in die Magengrube rutschen. Aber es dauert nur Sekunden, dann nimmt der Magier die Menschen schon wieder mit in eine andere Welt. Und seine wunderbaren Musiker liefern den Soundtrack für die Reise. Es ist inzwischen Edith Leerkes, die mit ihrem virtuosen, klassisch geprägten Gitarrenspiel den Klang der Band maßgeblich prägt. Pianist Erik van der Wurff, schon vom Haarschopf her nach vier Jahrzehnten der Zusammenarbeit eine symbiotische Ergänzung zu van Veen, bleibt eher im Hintergrund. Zwischen den dreien herrscht blindes Verständnis, die Begleiter reagieren kongenial auf die ständigen Tempoveränderungen, Pausen, Improvisationen des Sängers. Vorzüglich auch Karel Bredenhorst am Kontrabass, ebenso wie die Geigerin Jannemien Cnossen, die sich mit Stings wunderschönem Song "Until" sogar als bemerkenswerte Sängerin entpuppt. Es ist vom Repertoire her nicht die einzige Überraschung. Vergebens wartet das Publikum auf die "Hits". Irgendwann zitieren die Musiker die Eingangs-Sequenz von "Weg da", es gibt eine Kurzversion von "Warum bin ich so fröhlich", kurz vor Ende kommt "Möglicherweise ein Walzer", bei den Zugaben Brels grandioses "Chanson des vieux amants". Das war's mit den Klassikern, fast alles andere ist neueren Datums. Der spontane Beifall, der ertönt, wenn das Publikum nach den ersten drei Takten ein Lied erkennt, bleibt an diesem Abend aus. Man solle neugierig auf Neues sein, nicht auf das Altbekannte, hat Herman van Veen im Vorfeld im TV-Interview gefordert. Er meint, was er sagt. Und er kann es sich leisten. Drei Stunden weithin Unbekanntes zu spielen, seinen beliebtesten Titel ("Ich hab ein zärtliches Gefühl") als abschreckende "Rammstein trifft Jimi Hendrix"-Version zu verjuxen und dann trotzdem beim Publikum restlos abzuräumen: Dazu muss man ein ganz Großer sein. Vielleicht gibt's beim nächsten Mal ja dann doch noch ein bisschen mehr Futter für Nostalgiker. Es muss ja nicht wieder 13 Jahre dauern.

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