Zwischen Meer und Stille

Hamburg · Er war ein Meister der humorvollen Erzählung, aber auch der leisen Töne. Mit Romanen wie "Deutschstunde" und "Heimatmuseum" schuf Siegfried Lenz herausragende Werke der Nachkriegsliteratur. Jetzt starb der gebürtige Ostpreuße in Hamburg.

Hamburg. "Vielleicht muss ja im Schweigen ruhen und bewahrt werden, was uns glücklich macht": So leise hat er gelebt, so leise ist sein Werk. Mit 88 Jahren ist der Schriftsteller Siegfried Lenz gestorben. Der gebürtige Ostpreuße war einer der bedeutendsten und meistgelesenen Schriftsteller der deutschsprachigen Nachkriegs- und Gegenwartsliteratur. Ein Meister der Erzählung, der mit Romanen wie "Deutschstunde" (1968) und "Heimatmuseum" (1978), dem Band "So zärtlich war Suleyken" (1955) und zuletzt mit der Novelle "Schweigeminute" (2009) Bestseller schrieb (siehe Hintergrund).
Drittes Reich, Versöhnung mit Polen und Israel, Schelmengeschichte aus Masuren, Liebe - viele Motive, doch immer derselbe vertraute Tonfall. Siegfried Lenz war ein präziser Chronist der Zwischentöne. Er wusste ganz genau, was er sagen wollte, und er wusste, wie er das sagen musste. Und deswegen hat er seine Leser, die ihm immer treu blieben, auch trotz mancher negativer Kritik, nie enttäuscht.
"Virtuose der Nachsicht"


Den Wert literarischer Vorbilder für die eigene Entwicklung als Schriftsteller hat Lenz mehrfach betont. Freimütig gab er zu, sich anfangs eng an Ernest Hemingway orientiert zu haben. Doch sein Realismus ist deutlich sanfter, man erkennt Kunstwelten. Lenz selbst bezeichnete sich ganz treffend als "Virtuosen der Nachsicht."
Er ging respektvoll und zärtlich mit seinen Protagonisten um. Man lese als Beispiel seine einzige Liebesgeschichte "Schweigeminute". Mit 82 Jahren erzählt er darin von einer tragischen Liebe, als Ich-Erzähler aus der Perspektive eines Schülers. Sein Freund und Kritiker Marcel Reich-Ranicki sprach von Lenz\' möglicherweise schönstem Buch, er pries den Schriftsteller, dafür, sich endlich an eine Liebesgeschichte gewagt zu haben. Kaum ein anderes Werk von ihm ist von so einer Stille und Zärtlichkeit geprägt.
Lenz kam 1926 im ostpreußischen Lyck auf die Welt. Als Kind lernte er nah am Lyck-See fischen und lesen: Man könnte sagen, dort lernte er das Kontemplative und Ruhige. Nach dem Zweiten Weltkrieg lebte er in Hamburg und Dänemark - immer nah am Wasser. Das Meer und die Küste sind in vielen seiner Romane und Erzählungen vertraute Szenerien, die auf die Figuren wirken. Lenz malt mit Worten Landschaften aus Watt, Wellen, Sand und Salz. Der Leser spürt förmlich die Meeresluft aus seinen Werken strömen, eine Stimmung, die in Erinnerung bleibt.
Doch Lenz war nicht nur ein malerischer Realist. In einem Interview sagte er: "Schreiben ist auch eine Möglichkeit, sich zu wehren". In seinen Werken geht es auch um Verantwortung und Schuld, um Pflicht und Heimatverlust. Vor allem als Schriftsteller der Nachkriegszeit setzte er sich mit dem Dritten Reich auseinander.
"Deutschstunde" wurde sein größter, auch international anerkannter Erfolg. Darin geht es um ein pervertiertes Pflichtbewusstsein und dumpfe Obrigkeitshörigkeit, dargestellt als Vater-Sohn-Konflikt - stellvertretend für die Kriegs- und die rebellierende Folgegeneration.
Seit Jahren war Lenz gesundheitlich schwer angeschlagen. Zuletzt lebte er in einer Hamburger Senioren-Residenz - mit freiem Blick auf den Elbstrom.Extra

"So zärtlich war Suleyken": Liebeserklärungen an seine ostpreußische Heimat Masuren nannte Lenz die 20 Geschichten und Skizzen, in denen er raffiniert und witzig Begebenheiten aus dem erfundenen Dorf Suleyken erzählt. "Deutschstunde": Der Roman handelt von einem falsch idealisierten Pflichtbegriff und seinen verheerenden Folgen. "Heimatmuseum": Auch in diesem Roman greift Lenz das Thema Vergangenheitsbewältigung auf. Der Ich-Erzähler hat sein mühsam errichtetes masurisches Museum angezündet, um das Erbe seiner verlorenen Heimat vor Ideologisierung zu retten. "Ein Kriegsende": In der Erzählung geht es um den Konflikt von Gehorsam und Verantwortung, Kriegsrecht und Menschlichkeit. "Schweigeminute": In der schmalen Novelle geht es um die Liebe zwischen einem 18-jährigen Gymnasiasten und seiner etwa 30 Jahre alten Englischlehrerin. "Landesbühne": Die Summe seiner existenzialistischen Lebenssicht konzentriert Lenz in dieser weisen Novelle. Das Buch ist eine Hommage an die Lebenssinn schenkende Kraft der Kultur, aber auch ein Bekenntnis zu menschlichen Werten wie Freundschaft. "Die Maske": In der Titelgeschichte dieses Bandes mit fünf Erzählungen setzt sich Lenz mit Rollenverhalten dem wahren Charakter von Menschen auseinander.dpa

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