Zwischen Virtuosität und Besessenheit

Trier · Mit dem Pianisten Alexander Paley und Werken von Beethoven und Rachmaninow hat Generalmusikdirektor Victor Puhl seine letzte Saison in Trier begonnen.

Trier Die Situation an den Eingängen zum Trierer Theatersaal glich ziemlich genau der aktuellen Verkehrslage in der Region. Erst nach und nach ebbte der Andrang zum 1. Sinfoniekonzert ab. Kein Wunder: Hatte Victor Puhl den Start in seine letzte Saison als Trierer Generalmusikdirektor (GMD) mit einem Programm abgefedert, in das man sich legen konnte wie in ein gemachtes Bett. Wirklich "easy listening" sei das, hieß es lobend aus dem Publikum.
"Easy" war das Hauptwerk des Abends allerdings keineswegs. Mit dem scheinbar simplen Einstieg in sein 3. Klavierkonzert lockt Sergej Rachmaninow augenzwinkernd auf einen Holzweg. Die harmlose Melodie-Passage wird alsbald abgelöst von Akkord-Kaskaden, die vom Pianisten alles verlangen - vor allem äußerste Energie. Solist Alexander Paley ging dazu keinerlei Kompromisse ein. Nichts klang matt, diffus, beliebig. Paley meißelte Klangstrukturen heraus, gab den Mittelstimmen Profil und steigerte seine pianistische Intensität ins Extrem. Höhepunkt im diabolischen Spiel war die große Kadenz im Kopfsatz. Da schlägt pianistische Virtuosität um in Besessenheit, und das Klavier klingt, als zelebrierten Paley und Rachmaninow die berühmte "schwarze Messe" aus Skriabins 9. Klaviersonate.
Die Trierer Philharmoniker waren hellhörig dabei. Und Puhl zeigte sich mit Paleys subjektivem, manchmal eigenwilligem Musizierstil so vertraut, dass auch Unstimmigkeiten nicht weiter auffielen. Als am Ende der frenetische Beifall aufflammte, stellten sich Paley und Puhl Arm im Arm aufs Podium - Brüder sozusagen im Geiste.
Begonnen hatte das Sinfoniekonzert mit Beethovens "Egmont"-Ouvertüre in einer eher leichfüßigen Interpretation. Endlich einmal kommt diese Ouvertüre nicht wuchtig und gewaltsam daher, sondern behend und beweglich. Für den berühmten Schwerthieb, mit dem Egmont hingerichtet wird, nimmt sich der GMD reichlich Zeit. Und gibt der anschließenden Stretta eine schöne, französisch inspirierte Leichtigkeit mit.
Nach Rachmaninows Elefantenstück war Dvoráks 9. Sinfonie dann wie der Ausflug in eine andere Welt. Offensichtlich hatte sich Puhl in dieses Werk, dem der Ruf des leicht Dirigierbaren vorauseilt, intensiv eingearbeitet. Er spielte die Wiederholung im Kopfsatz, die in der Regel übergangen wird, sorgfältig aus, nahm dem Seitenthema die gefährlich naheliegende folkloristische Idyllik, ließ die schweren Bläser-Akkorde im langsamen Satz in sich ruhen, gab dem Scherzo straffe Tanz-Energie und dem Finale einen verhalten hymnischen Zug mit.
Vor allem: Auf weite Strecken ließ er die Musik einfach laufen statt sie interpretierend in die eine oder andere Richtung zu drängen. Das tut der Komposition sichtlich gut.
Im Orchester freilich blieben Wünsche offen. Bei den Holzbläsern fehlte die Homogenität, die ersten Geigen klangen durchweg erstaunlich stumpf, und der Beginn blieb bei den Celli diffus und nicht ganz intonationsrein. Das markante Blech freilich gehörte zu den Aktivposten. Und im zweiten Satz bestach das Englischhorn-Solo. Oboist Natoshi Nakayama erhielt dafür vom rundum zufriedenen Publikum eine Portion Sonderbeifall.

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