Zwischen Wahn und Sinn

Trier · Verspätete Geburtstagsgeschenke sind manchmal die schönsten: Das Trierer Theater gratuliert Robert Schumann zum 200. zwar zehn Monate nach dem eigentlichen Termin, aber dafür mit einem Tanztheaterabend auf hohem Niveau - und mit zwei ganz unterschiedlichen Handschriften.

 Spektakuläre Kulisse: Philippe Talards „Tanz-Kästen“ und der schwebende Cellist André Mergenthaler. Foto: Theater

Spektakuläre Kulisse: Philippe Talards „Tanz-Kästen“ und der schwebende Cellist André Mergenthaler. Foto: Theater

Wer war dieser Robert Schumann? Ein Romantiker? Ein Naiver? Ein Kämpfer? Ein Eifersüchtiger? Ein Verrückter? Ein Verzweifelter? Der Trierer Theaterabend liefert zwei spannende Einblicke in das Seelenleben des manisch-depressiven Komponisten, der im Alter von 46 Jahren in einer Nervenheilanstalt starb.

Stephan Thoss greift den jungen Schumann heraus, vor allem seine bewegende Liebesgeschichte mit der Pianistin Clara Wieck. Eine bedrohte Liebe, in erster Linie durch Claras Vater, der die Beziehung mit allen Mitteln unterbinden will.

Thoss' klassisches Handlungsballett "Träumerei" charakterisiert die Figuren präzise, meidet aber die pure biografische Nacherzählung. Schumanns beginnende Schizophrenie findet sich in den Figuren "Schwarz" und "Weiß" wieder, die eine kraftvoll und zerstörerisch, die andere elegant und ätherisch. Sie zerrütten den Anflug von Leichtigkeit und Lebensfreude, der die ersten Ehejahre von Robert und Clara nach dem harten Kampf ums gemeinsame Glück kennzeichnet.

Die Musik ist dabei mit dem Klavierquintett Es-Dur intelligent ausgewählt, entstand es doch in der knapp bemessenen Zeit unbeschwerten Lebens, nachdem das Paar seine Hochzeit gegen Claras Vater durchgesetzt hatte und bevor Krankheit, Wahn und Geldnot den Alltag bestimmten. Ketevan Rukhadze, Petar Entchev, Dumitru Dache, Daniel Poschta und Jörg Sonnenschein musizieren das fernab von akademischer Kammermusik, beseelt, rhythmisch, musikalisch die großen Gefühle skizzierend, die Thoss auf der Bühne aufnimmt. Eine filigrane Choreographie, ganz nah an der Musik, sorgfältig getaktet, jede Note reflektierend.

Hochkonzentriert die Solisten (Noala de Aquino, Susanne Wessel, David Scherzer, Juliane Hlawati, Cécile Rouverot), denen es mit dem gesamten Ensemble (Christin Braband, Robert Seipelt, René Klötzer, Reveriano Camil, Natalia Grützmacher) gelingt, eine einfache, klare tänzerische Sprache zu entwickeln.

Eine andere Tanztheater-Welt



Philippe Talards Szenenfolge "Le songe d'un fou" ("Der Traum eines Verrückten") kommt aus einer ganz anderen Tanztheaterwelt. Talard zielt auf das Gesamtkunstwerk, auf das emotionale Erfassen von Lebenssituationen - nicht auf Verstehen, sondern auf Überwältigung. Geschickt verzahnt er verschiedene Elemente: Im Graben das Orchester unter der sensiblen Leitung von Victor Puhl, hoch oben über der Bühne, in einem pendelnden Käfig thronend, der Cellist André Mergenthaler. Auf der Drehscheibe fünf offene Boxen mit Metallrahmen, die jeweils einem Paar als Tanzfläche für synchrone Bewegungen dienen. Dahinter werden Zeitlupen-Unterwasseraufnahmen Mergenthalers projiziert, am Bühnenrand sitzt mit dem talentierten Stéphane Giampellegrini ein zweiter Cellist, der den heiklen Solopart in Schumanns Cello-Konzert übernimmt.

Originalmusik des Komponisten wechselt sich ab mit Improvisationen Mergenthalers, die berühmte "Träumerei" aus den Kinderszenen ist in mehreren Varianten vertreten. Es entwickelt sich ein faszinierender Dialog, bei dem Talards Körpertanzkunst im Mittelpunkt steht. Die Tänzer formen mit ihren Leibern immer neue Bilder, kleben aneinander, stehen aufeinander, umklammern sich, bewegen sich gegenseitig mit Händen und Füßen.

Man kann, wenn man will, Mergenthaler als alter ego Schumanns sehen, die fünf identischen Tanzpaare als Ausdruck einer gespaltenen Persönlichkeit, die Video-Sequenzen als Abtauchen in den Wahnsinn. Aber im Grunde entziehen sich Talards psychedelische, immer neu variierte Bilder jeder oberflächlichen Interpretation. Und kommen doch der Seele Schumanns möglicherweise näher als die Gegenständlichkeit von Stephan Thoss.

Beide Tanzstücke enden leise, fast verdämmernd, mehr Fragen offen lassend, als sie beantworten. Der Beifall des Publikums braucht Zeit, um sich zu entwickeln, aber dann fällt er lang und entschieden aus. Und er gilt nicht zuletzt der künstlerischen Flexibilität und dem Engagement der kleinen Trierer Tanztruppe.

KULTUR-AUSTAUSCH MIT LUXEMBURG



Am Sonntagabend bei der Premiere wurde Letzebuergisch gesprochen: Choreograph Talard brachte viele Gäste aus dem Nachbarland mit, allen voran Kulturdezernentin Lydie Polfer und Grand-Théâtre-Chef Frank Feitler. Im Juni wird er die Trierer Talard-Produktion in seinem Haus zeigen - das erste Gastspiel dieser Art seit etlichen Jahren. DiL

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