Naturschutz 11 000 Kilometer bis ins neue Zuhause: Wie zwei Wale um die halbe Welt fliegen

Luxemburg · Außergewöhnliche Ladung – beziehungsweise Passagiere: Luxemburgs Frachtflugunternehmen Cargolux will im Frühjahr zwei Wale von China nach Island bringen. Die Aktion wird generalstabsmäßig vorbereitet. Dass Beluga-Wale in ein Reservat im Meer überführt werden, gab es noch nie.

Naturschutz: 11 000 Kilometer bis ins neue Zuhause:  Wie zwei Wale um die halbe Welt fliegen
Foto: Cargolux

Für seinen Badebetrieb ist das Inselchen Heimaey eher nicht bekannt. Mag das Wasser dort, vor der isländischen Südküste, auch noch so sauber und tiefblau sein – es wird selbst im Hochsommer kaum wärmer als zehn Grad.

Doch zwei Besucher, die sich bei diesen Temperaturen pudelwohl fühlen, sind trotzdem für das Frühjahr angekündigt: Zwei Wale, die allerdings von weit herkommen – und zwar mit einem Cargolux-Frachtjumbo.

Die beiden Beluga-Wale Little Grey und Little White sollen zunächst auf dem Flughafen von Reykjavik landen. „Meeressäuger werden nicht gerade oft an Bord unserer Flugzeuge gesichtet“, gibt die Cargolux-Sprecherin Moa Sigurdardottir zu. Trotzdem seien solche Passagiere keine Premiere für die Luxemburger Gesellschaft: „Cargolux hat in seiner 50-jährigen Unternehmensgeschichte schon einige Meeressäuger transportiert.“

Viele Faktoren machen den Transport von Little Grey und Little White aber doch einzigartig – und äußerst komplex: Denn zum ersten Mal überhaupt werden zwei Beluga-Wale aus einem Ozeaneum in ein „Sanctuary” überführt – ein Freigehege unter Wasser. Seit Monaten werden die beiden zwölf Jahre alten Tiere auf den Trip vorbereitet. Am Tag X werden sie erst auf einen LKW, dann in ein Flugzeug und schließlich auf eine Fähre geladen. 24 Stunden lang werden sie unterwegs sein, um die 11 000 Kilometer zu bewältigen.

Um sie überhaupt transportieren zu können, wird für jeden der Belugas eine auf ihren Körper angepasste Bahre gefertigt. Wenn es losgeht, werden die Tiere sediert und darauf gelegt. Dann werden sie in Transportboxen bugsiert, die mit Wasser gefüllt werden.

Ein Kran hebt die Tanks aus dem Becken der Changfeng Ocean World in Schanghai, in dem die beiden Wale die vergangenen Jahre verbracht haben – und lädt sie auf zwei LKW. Die Trucks fahren anschließend direkt vom Schanghaier Zentrum auf das Rollfeld des Pu-Dong-Flughafens. Und dort wartet bereits ein Cargolux-Jumbojet mit geöffneter Ladeluke.

„An Bord sind zwei Extra-Tanks mit jeweils 900 Litern Wasser, um während des Flugs die Flüssigkeit in den Transportboxen austauschen zu können“, erklärt Sigurdardottir. Um verschmutztes Wasser aufzufangen, stehen zwei weitere, leere Tanks bereit. Vier Tierärzte und Wal-Experten begleiten die Tiere und wachen über Puls und Atemfrequenz. Ein Cargolux-Ingenieur fliegt ebenfalls mit – um einspringen zu können, falls etwas mit dem Equipment nicht stimmen sollte.

Cargolux stellt für den 13 Stunden langen Flug eine Chartermaschine bereit. Bis jetzt ist nicht angedacht, dass die auch andere Fracht lädt. Zwischen Schanghai und Island liegen 10 800 Kilometer Flugstrecke. Da kommt auch der spezielle Langstrecken-Jumbo, den das Luxemburger Unternehmen nutzen will, an seine Grenzen. Aber: „Da die Nutzlast mit den zwei Belugas weit unter dem Maximum liegt, das das Flugzeug laden kann, ist die Reichweite in diesem Fall kein Problem“, sagt Sigurdardottir.

Sollte es zu technischen Problemen kommen, gäbe es eine ganze Reihe von Flughäfen auf der Strecke, auf denen man zwischenlanden könne.

„Ein Techniker-Team würde dann mobilisiert werden, um das Flugzeug so schnell wie möglich wieder in die Luft zu bekommen.“

Warum die ganze, komplizierte Aktion? 2012 erwarb der britische Unterhaltungskonzern Merlin Entertainment, der unter der Marke „Sea Life“ weltweit 50 Großaquarien als Touristenattraktionen betreibt, die Changfeng Ocean World in Schanghai – inklusive der drei Beluga-Wale. Diese mussten über Jahre für Tier­shows herhalten. Da sich das Unternehmen auf die Fahnen geschrieben hatte, keine Wale und Delfine zu halten, musste eine Lösung her. Merlin Entertainment setzte sich mit der britischen Tierschutzorganisation Whale and Dolphin Conservation (WDC) in Verbindung, die sich seit 1987 für die Befreiung von Meeressäugern einsetzt. Die Idee: ein Reservat im Meer schaffen – das weltweit erste für Belugas überhaupt.

Jahrelang fahndete die WDC nach einem geeigneten Ort für das „Sanctuary“. Während ihrer Suche nach geeignetem Wasser – Salzgehalt, pH-Wert, Temperatur und Tiefe, alles musste im schmalen Toleranzbereich der Belugas liegen – erlebten sie einen herben Rückschlag. Jun Jun, der dritte Beluga aus dem Ozeaneum in Schanghai, starb im Juni 2017 mit nur 17 Jahren. Aber zwei Monate später vermeldete die Tierschutzorganisation dennoch Erfolg: Mit der Klettsvik-Bucht auf Heimaey war endlich ein geeigneter Ort für die beiden anderen Belugas gefunden.

Für das eigentliche Reservat wird die Bucht unter Wasser mit Säulen und Netzen abgeriegelt. Wellendämpfer sollen die Tiere vor dem Seegang während der Winterstürme schützen. Am Ufer wird ein Besucherzentrum errichtet, in dem Touristen mehr über die Geschichte von Little Grey und Little White erfahren können. Über die genauen Kosten von Projekt und Transport wurde Stillschweigen vereinbart.

Die Klettsvik-Bucht beherbergte schon einmal einen Wal, der ausgewildert wurde: 1998 wurde Keiko, der Schwertwal aus dem Hollywood-Film „Free Willy“, hierhergebracht und auf ein Leben in Freiheit vorbereitet. 2002 wurde Keiko dann im Atlantik ausgesetzt. Ein Jahr später starb der Wal vor der norwegischen Küste.

Ob auch Little Grey und Little White irgendwann einmal in die freie Wildbahn entlassen werden können, ist noch unklar. Über das Projekt freuen sich aber auch die Naturschützer. „Wir hoffen, dass dieses Projekt dabei helfen wird, auch andere Wale, die in Gefangenschaft leben, in eine natürlichere Umgebung zu bringen“, sagt Cathy Williamson von der WDC. „Es sind hochintelligente Wesen. Und sie sind nicht dafür geeignet, in einem kleinen Becken gehalten zu werden, um Tricks vorzuführen.“

Der Autor ist Redakteur
beim Luxemburger Tageblatt

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