Der dosierte Beginn sozialer Grausamkeiten

Luxemburg · Erst seit einem Monat im Amt, übt sich die neue Luxemburger Regierung in Reformwillen zur Sanierung der Staatsfinanzen. Dabei geht es auch um die Kürzung von Sozialleistungen und Mehrbelastungen für die Verbraucher wie die jüngst angekündigte Erhöhung der Mehrwertsteuer.

Luxemburg. Auch wenn die Anhebung des Normalsatzes der Mehrwertsteuer zum Ende dieses Jahres im europäischen Vergleich wenig revolutionär erscheinen mag, so bedeutet dies für die Luxemburger doch das Ende eine Reihe von finanziellen Wohltaten und der Beginn von Einschnitten in die Polster des Wohlstandes.
Denn die neue Regierung im Großherzogtum - gemäß der Parteifarben von Liberalen, Sozialisten und Grünen gern Gambia-Koalition genannt - hat von der schwarz-roten Vorgängerregierung unter Jean-Claude Juncker (CSV) ein schweres Erbe erhalten: Ein Staatsdefizit von rund 600 Millionen Euro (Stand: Mitte 2013), eine Arbeitslosenquote von rund sieben Prozent (Region Trier: 4,1 Prozent), eine zerstrittene Sozialpartnerschaft zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern - und wenig Optionen, den Karren aus dem Dreck zu ziehen. "Einen Kassensturz" hat denn auch der neue Regierungschef Xavier Bettel (DP - Liberale) gleich nach der Regierungsübernahme angekündigt.
Der nun erste - für ihn und seine Regierung schmerzhafte - Beschluss: die Erhöhung der Mehrwertsteuer um zwei Prozentpunkte zum Jahresende. Damit läge Luxemburgs Normalsatz bei 17 Prozent (siehe Extra) und immer noch auf dem niedrigsten Niveau in Europa. Doch angesichts der Geschichte der Steuer im Ländchen bedeutet dies den Beginn, die Haushaltsfinanzen wieder ins Lot zu bringen. Der TVA (Taxe sur la valeur ajoutée), so die Abkürzung in Luxemburg, wurde erst 1970 dort eingeführt (in Deutschland 1918) und war zuletzt 1992 erhöht worden. Damals stieg der Normalsatz von zwölf auf 15 Prozent. Inzwischen ist die Mehrwertsteuer mit drei Milliarden Euro zur zweitwichtigsten Steuer für den Staat geworden.Neue Wege zu mehr Einnahmen


Begründet wird die Steuererhöhung damit, dass infolge des Wegfalls der Einnahmen aus dem elektronischen Handel ab 2015 jährlich rund eine Milliarde Euro weniger den Staatssäckel füllen werden. Denn der Luxemburger Handel verzeichnet im europäischen Jahresvergleich starke Zuwächse von gut zwölf Prozent, was laut der Statistikbehörde Eurostat fast ausschließlich auf den Internethandel der im Großherzogtum ansässigen Firmen wie die Europazentrale von Amazon zurückzuführen ist.
Ebenfalls von der Steuererhöhung betroffen sind Energieprodukte, deren Satz sich von sechs auf acht Prozent erhöht, auch der vorläufige Steuersatz für Immobilien- oder Kreditgeschäfte steigt von zwölf auf 14 Prozent.
Ausgenommen von der Steuer sind jedoch Nahrungsmittel, Kinderkleidung, Eintritte für Kulturveranstaltungen oder die Wasserversorgung, die auch künftig nur mit drei Prozent TVA besteuert werden sollen.
Auch wenn das Luxemburger Statistikamt Statec es noch für "zu früh hält, um die finanziellen Auswirkungen abzuschätzen", so schätzt das Portal L\'essentiell online die Mehrkosten für einen Luxemburger Durchschnitts-Haushalt durch die Mehrwertsteuererhöhung auf immerhin 730 Euro im Jahr. Deutsche Pendler und Käufer wird es vor allem beim Tanken und Zigaretteneinkauf treffen.
Doch damit nicht genug. Mehrere Vorhaben, die Staatsfinanzen zu sanieren und für mehr Einnahmen zu sorgen, haben unterschiedlichste Regierungspolitiker bereits ausgeplaudert - und damit für Verwirrung und Unbehagen gesorgt. Dabei ist lediglich beschlossen, die Etats der Ministerien um zehn Prozent zu kürzen und Personalkosten wie Investitionen zurückzufahren.
So geistert eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes durch die politische Landschaft Luxemburgs, und auch eine Reform der Familienzulagen ist ausgedacht, wenn auch noch nicht ausgearbeitet. Denn statt mit den Beihilfen die Luxemburger zu Nachwuchs zu animieren, wandert von den Transfers "die Hälfte der Familienleistungen ins Ausland", wie die neue Familienministerin Corinne Cahen (DP) sagt.
Damit profitieren die insgesamt 190 000 Grenzgänger, davon rund 30 000 aus der Region Trier, jährlich von rund 500 Millionen Euro Familienbeihilfen aus der Luxemburger Staatskasse. Nun könnte es bald ein einheitliches Kindergeld für alle geben (siehe Extra). Und auch das RMG (garantierte Mindesteinkommen) sowie die Mammerent (Erziehungspauschale) hält die Ministerin für reformwürdig.
"Wir sind uns bewusst, dass die kommenden fünf Jahre keine einfachen sein werden", sagt Premier Xavier Bettel. Schwere Startbedingungen für die Haushaltsberatungen, die im April abgeschlossen sein sollen.Extra

Die aktuellen Normalsätze der Mehrwertsteuer in Luxemburg und seinen Nachbarländern: Luxemburg: 17 Prozent Deutschland: 19 Prozent Belgien: 21 Prozent Niederlande: 21 Prozent Frankreich: 20 Prozent sasExtra

Eltern eines Kindes bekommen 185,60 Euro im Monat, bei zwei Kindern je Kind 220,36, ab drei Kindern je Kind 267,59 und ab dem vierten Kind je Kind 361,82 Euro - plus Kinderbonus und Schulanfangszulage. In Deutschland liegen die Sätze bei 184 Euro fürs erste und zweite Kind, fürs dritte bei 190 und fürs vierte bei 215 Euro. Pendler haben einen Anspruch auf Kindergeld in Luxemburg. Arbeitet ein Elternteil hier, zahlt Luxemburg die Differenz. sas

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