Ein Schnitt durch die deutsch-luxemburgische Seele

Luxemburg/Bitburg · Noch 200 Jahre nach dem Wiener Kongress sind sich die Historiker uneins, wie klug es war, die Grenzen damals so zu ziehen. Für die Menschen in Eifel, Trierer Land und Saargau bedeutete die Schaffung des neuen Luxemburgs eine Trennung von Besitz, Familie und kultureller Identität, die bis heute anhält. Nur langsam scheint dies über die Sprache aufzubrechen.

Luxemburg/Bitburg. "Du houere Preiß!" Wer als Deutscher in Luxemburg den Zorn seiner Nachbarn auf sich gezogen hat, erlebt noch nach 200 Jahren die in der Luxemburger Gesellschaft fest verankerten Folgen politischer Entscheidungen vergangener Tage. Denn der "Hurenpreuße", so die Übersetzung, leitet sich aus den Veränderungen ab, die in der Schlussakte des Wiener Kongresses von 1815 zusammengefasst sind (siehe Extra). Was für ganz Europa eine politische Stabilisierung bedeutet hat, zerrt an Our, Sauer und Mosel Familien auseinander, schürt Ängste und Vorurteile, schafft Grenzen in den Köpfen. Zwar entstand ein eigenständiges Luxemburg im Besitz des niederländischen Königs und des Großherzogs von Luxemburg, doch gingen die 2200 Quadratkilometer großen Gebiete rechts der Flüsse mit 50 000 Einwohnern an Preußen über. "Vor dem Wiener Kongress war die Region in vielfacher Hinsicht ein Ganzes", sagt der Historiker Henri Trauffler aus Echternach. Laut Bitburgs Historiker Peter Neu hat aber der niederländische König Wilhelm I. auf das Eifeler Gebiet bis auf die Stadt Vianden als Stammsitz der Oranier gern verzichtet.
Zunächst ändert sich für die Eifeler wenig, sie gelten bei den preußischen Herren als "gutmütig, autoritätshörig und leichtgläubig". Allerdings sind die Preußen wenig beliebt, müssen sich doch alle Männer zur Landwehrpflicht registrieren lassen. Und der Kontakt nach Luxemburg bleibt erhalten, denn das Großherzogtum ist Teil des Deutschen Bundes.
Verschärfter Ton


"Die Sauer war zwar die Grenze, doch das wurde locker gehandhabt", sagt Neu, "man heiratete weiter, besuchte die Kirmes und den Markt." Erst die belgische Revolution 1830, die fast alle Luxemburger Gemeinden in den Bann zieht, verschärft den Ton. Die Bevölkerung registriert aufmüpfige Revolutionäre beim Prümer Zeughaussturm 1849 oder Sympathiebekundungen in Echternach für die Deutsche Revolution mit Genugtuung. "Die Lage änderte sich nach dem deutsch-französischen Krieg, als jeder Deutsche auf einmal zum Preiß wurde, auch die Freunde von vorher", sagt Trauffler.
Hart trifft dies die Wirtschaft: Etwa sieben Achtel der Besucher auf Luxemburger Bauernmärkten kamen bislang von Eifel und Mosel, die Weilerbacher Hütte ist vom Bahnverkehr abgekoppelt und erhält kein Erz mehr, in Eisenbach führt die Trennung im Zweiten Weltkrieg dazu, dass die Särge Verstorbener des deutschen Ortsteils auf der Our-Brücke abgestellt werden und die Luxemburger Teilgemeinde die Toten auf dem Friedhof ihrer Seite begräbt - ohne die deutschen Angehörigen. Erst nach 1945 beginnt man sich anzunähern - so auch mit dem ersten Besuch des Luxemburger Kabinetts Joseph Bech auf dem Ernzer Berg .
Inzwischen gibt es nicht nur das Schengener Abkommen: Mit 30 000 Grenzgängern aus der Region Trier und rund 6300 Luxemburgern, die in Rheinland-Pfalz leben, sind viele Grenzen verschwunden. Auch in den Köpfen. Wie ist es sonst zu erklären, dass in dieser Woche nach 200 Jahren rund 600 Eifeler und Luxemburger in die Bitburger Stadthalle kommen, um an den Wiener Kongress zu erinnern? "Wir, Luxemburger und Deutsche, erinnern uns gemeinsam daran, dass wir über 1000 Jahre in einem Staat zusammen waren und vor 200 Jahren getrennt wurden", sagt Georges Calteux, Vorkämpfer der deutsch-luxemburgischen Freundschaft. Nicht wenige werden dem Landrat des Eifelkreises Bitburg-Prüm, Joachim Streit, insgeheim zustimmen, wenn er scherzhaft vorschlägt, "die Wiener Schlussakte wieder aufzuheben". Die Suche nach Heimat und Identität scheint die Landstriche zusammenzuführen.
Der Faktor Sprache


Ein Faktor: die Sprache. Nicht nur Luxemburger Neubürger pauken Lëtzebuergesch, auch Grenzgänger. Die Schüler allein am Institut national des langues haben sich in zwei Jahren verdreifacht. So singen die Eifeler Mundartkünstlerin Sylvia Nels und ihr Luxemburger Kollege Joel Baschera gemeinsam: "Mir schwätzen all eng Sprooch, déi ons nach haut verbënnt." Wir sprechen alle eine Sprache, die uns noch heute verbindet. Georges Calteux "Wir sind ein Produkt der Geschichte, aber die Sprache ist unsere gemeinsame Heimat."
Ausstellungen: Museum Dräi Eechelen Luxemburg "Les Frontières de l\'Independance - Le Luxembourg entre 1815 et 1839", Schloss Malberg "200 Jahre Wiener Kongress - Die Landkarte der Eifel wird neu gezeichnet".Extra

 Hans Binsfeld und Hermann Laub aus Bitburg (von links) zeigen Uniformen der Preußischen Landwehr aus dem Jahr 1815.TV-Foto: S. Schwadorf

Hans Binsfeld und Hermann Laub aus Bitburg (von links) zeigen Uniformen der Preußischen Landwehr aus dem Jahr 1815.TV-Foto: S. Schwadorf

Foto: (g_luxemb

Die Vertreter vieler Staaten kamen zur Beratung über die Neuordnung Europas nach dem Sturz Napoleons im September 1814 in Wien zusammen. Vorsitzender war Österreichs Außenminister Klemens Wenzel Fürst von Metternich. Im Juni 1815 wird der Deutsche Bund gegründet, aus Dutzenden Einzelstaaten wie Teilen des Habsburger Kaiserreiches sowie der Königreiche Bayern und Sachsen. Am Ende wird die Wiener Kongressakte am 9. Juni 1815 unterzeichnet. Grundlage ist das Pariser Friedensabkommen, Ergebnis der Befreiungskriege. Weil der Kongress auch ein gesellschaftliches Ereignis war, ist der Spruch "Der Kongress tanzt" überliefert. dpa

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