Esch/Alzette/Berlin Freiluftbad und Velo: Wörterbuch zu Deutsch in Luxemburg

Esch/Alzette/Berlin · Die meisten Luxemburger können auch Deutsch. Über die Jahre hat sich das Deutsche in Luxemburg aber anders entwickelt als in Deutschland. Ein Germanistik-Professor bringt nun ein Wörterbuch dazu heraus.

 Heinz Sieburg, Germanistik-Professor, sitzt in einer Bibliothek der Universität im luxemburgischen Esch/Alzette.

Heinz Sieburg, Germanistik-Professor, sitzt in einer Bibliothek der Universität im luxemburgischen Esch/Alzette.

Foto: dpa/Birgit Reichert

Die Vakanz sind die Ferien, das Velo ist das Fahrrad und das Freiluftbad ist das Freibad: Das Deutsch, das in Luxemburg gesprochen wird, ist ein bisschen anders als das Deutsch, das man in Deutschland kennt. „Man kann sagen: Es gibt eine eigenständige Varietät des Deutschen in Luxemburg“, sagt Germanistik-Professor Heinz Sieburg an der Universität Luxemburg in Esch an der Alzette. Die Besonderheiten betreffen vor allem den Wortschatz. Rund 1300 Stichwörter hat der gebürtige Bonner in Recherchen über die vergangenen gut zehn Jahre zusammengetragen.

Dabei stellte er fest: „Der französische Einfluss ist ein Stück weit mit prägend für die besondere Ausgestaltung der deutschen Sprache in Luxemburg.“ Sein Überblick zu Wörtern aus Alltag, Politik und Verwaltung findet sich im ersten Wörterbuch zum „Luxemburger Standarddeutsch“, das Mitte Oktober im Dudenverlag erscheint. Es greift auch die aktuellsten Entwicklungen der Gegenwartssprache auf, wie eine Sprecherin des Verlags in Berlin sagt.

Da gibt es Wörter, die leicht als französische Lehnwörter ausgemacht werden können – wie Rentrée für die Rückkehr der Schüler nach den Ferien oder Chamber für das Parlament. „Dass Sprachen aus anderen Sprachen entlehnen, ist der Normalfall“, sagt Sieburg. Auch im bundesrepublikanischen Deutsch seien französisch beeinflusste Wörter wie Déjà-vu, Büro, Balkon oder Parfüm heute gang und gäbe. Während das „deutschländische Deutsch“ heute aber eher angloamerikanisch beeinflusst werde, laufe in Luxemburg – das an Frankreich grenzt – der französische Lehneinfluss weiter.

Im Wörterbuch gibt es auch Begriffe, die sich für Nicht-Luxemburger nicht sofort eindeutig erschließen: Zum Beispiel Gemeindemutter für Bürgermeisterin, Körperdurchsuchung für Leibesvisitation oder Autonomie für die Reichweite oder Ladeleistung eines Akkus. Und dann Wörter, die man erahnt: Freiluftbad für Freibad, Parking für Parkplatz und Caddie für Einkaufswagen. In Luxemburg „nimmt man auch Notizen“, und macht sie nicht. Und sanitäre Vorsichtsregeln in Pandemiezeiten heißen auch mal Barrieregesten.

Nach Ansicht von Sieburg ist es wichtig, das Deutsche in Luxemburg als gleichberechtigte Normvariante wertzuschätzen. Und nicht, wie es teils in Luxemburg passiere, Unterschiede „als Fehler“ zu betrachten. Wenn durch das Wörterbuch im Großherzogtum eine Sprachdebatte angeregt werde: „Dann ist das gut aus meiner Sicht“, sagt der Professor für germanistische Linguistik und historische Sprachwissenschaft des Deutschen sowie germanistische Mediävistik. Seit den Anfängen der Universität in Luxemburg im Jahr 2003 lehrt er im Großherzogtum, er leitet am Standort Esch mehrere germanistische Studiengänge mit insgesamt rund 100 Germanistik-Studierenden. Deutsch ist in Luxemburg eine gängige Sprache. Kinder lernen in der Schule Lesen und Schreiben auf Deutsch - und benutzen es oft als Unterrichtssprache. Neben Luxemburgisch und Französisch ist Deutsch Verwaltungssprache - und bevorzugte Sprache der Printmedien. Das Großherzogtum ist mit seinen rund 630.000 Einwohnern das zweitkleinste Land der EU.

Die Mehrheit der Luxemburger spricht nach Angaben der Regierung vier Sprachen, der Anteil der ausländischen Einwohner liegt bei fast 50 Prozent. Laut einer Studie des Bildungsministeriums (2018) sprechen 98 Prozent der luxemburgischen Bevölkerung Französisch, 80 Prozent Englisch und 78 Prozent Deutsch. Luxemburgisch wird von 77 Prozent der Bevölkerung gebraucht.

Auch wenn Luxemburgisch Nationalsprache ist, sei doch auch Deutsch Teil des Sprach- und Kulturerbes des Landes, sagt Sieburg. Vielen sei nicht bekannt: „Die Anfänge der Schriftlichkeit des Deutschen sind in Luxemburg zu finden.“ Es handele sich um handschriftliche Einträge (Glossen) aus dem achten Jahrhundert, die in der Benediktinerabtei Echternach entstanden. „Von da an gab es eine kontinuierliche Deutschsprachigkeit, die sich auch ablesen lässt in Urkunden und in der Literatur“, erzählt er.

Auch in Österreich und in der Schweiz habe sich das Deutsche teils unterschiedlich entwickelt. So hießen im österreichischen Deutsch Schlagsahne Schlagobers und Tomaten Paradeiser. „Das sind auch keine Abweichungen von einem „Monostandard“, der in Deutschland gesetzt wird, sondern Standard-Varianten“, sagt der Professor. Heute sei man weg von der Idee: „Es gibt ein Binnendeutsch und drumherum irgendwie so komisches Randdeutsch.“ Für das Deutsche in Österreich und in der Schweiz sind bereits ähnliche Wörterbücher (Duden) erschienen.

Die Sprecherin des Dudenverlags sagt: „Als Nachschlagewerke für die nationalen Varianten des Deutschen sind die Wörterbücher sehr relevant sowohl für Schreibende und Sprechende in den jeweiligen Ländern als auch in Deutschland.“ Beide bisherige Bücher für Österreich und die Schweiz würden immer wieder aktualisiert und erweitert. „Und sie sind weiter nachgefragt.“ Sieburgs Buch sei das erste Wörterbuch, das ausschließlich und umfangreich das Deutsch in Luxemburg zeige.

Sieburg hat Begriffe in seinem Wörterbuch erst aufgenommen, wenn sie mehrmals regelmäßig in verschiedenen Zeitungen erschienen. „Es muss ja standardisiert sein und keine Eintagsfliege“, sagt er. Mit dem Buch wolle er auch dazu beitragen, dass Nicht-Luxemburger die Begriffe nachschlagen und verstehen könnten. „Es geht auch darum, Missverständnissen vorzubeugen.“

Als Beispiel nennt er das Wort Rendezvous, das in Luxemburg für jede Art von Treffen benutzt wird. „Man hat auch ein Rendezvous mit einem Arzt“, sagt Sieburg.

(dpa)
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