Gefangen im Turm der Erinnerung

Wenn das kein programmatischer Start ist: Gleich die erste Opern-Produktion im Grand Théâtre besetzt jenes Feld in der Programmplanung, das Intendanten gerne die "Risiko-Position" nennen.

Die Uraufführung einer zeitgenössischen Oper, geschrieben von einem bislang als Opernkomponist nicht häufig in Erscheinung getretenen Luxemburger Klangkünstler, der als Spezialist für Experimentelles gilt.
Ein Werk für "acht Stimmen, zwei Orchester und live electronics", nach einem verschachtelten psychoanalytischen Schlüsselroman: Da kommt schon einiges zusammen, was das Publikum kräftig fordert. Zumal der Text "Der Turm" von Peter Weiss, 1948 geschrieben, eine komplexe Auseinandersetzung mit dem Thema der menschlichen Psyche liefert.
"Es wird funktionieren" , sagt Librettist und Regisseur Waut Koeken im Kultur de Lux-Interview. Der 35-jährige Belgier hat Anfang September die Probenarbeit im Grand Théâtre aufgenommen.
Herr Koeken, wie lange sind Sie und der Komponist Claude Lenners mit diesem Projekt schwanger gegangen?
Koeken: Wir haben vor zweieinhalb Jahren angefangen, die Idee stammte von Frank Feitler (dem Intendanten des Grand Théâtre), und es war ein langer Prozess. Für mich war Peter Weiss mit seiner unglaublich bildreich und klug geschriebenen Geschichte eine echte Entdeckung. Wir hatten alle drei das Gefühl, da ist wirklich was zu erzählen.
Aber eine Reise in die Seele eines Menschen wie die Hauptfigur des Romans, der junge Artist Pablo, das tut, das ist doch schwer auf die Bühne zu bringen, zumal als Oper.
Koeken: Gerade weil das Stück so vielschichtig ist, kann die Musik sehr viel übernehmen. Es war ja ursprünglich ein Hörspiel, in einem ganz bestimmten Rhythmus geschrieben. Wir mussten versuchen, die Handlung, in der es viele Mysterien gibt, von der Musik her zu denken.
Dann war Ihre Aufgabe als Librettist vielleicht sogar, den Text möglichst knapp zu halten?
Koeken: Das stimmt, ich habe versucht, so wenig wie möglich Text zu produzieren. Aber für Claude Lenners, den Komponisten, war auch wiederum klar, dass es keine große, klassische Oper werden soll, sondern eine verdichtete, fast kammerartige Oper.
Nun spielt sich vieles im Kopf der Handelnden ab, es gibt kaum normale szenische Abläufe. Wie kriegt das der Regisseur nachher auf die Bühne?
Koeken: Daran arbeite ich zurzeit. Das muss man szenisch in den Griff kriegen, wenn es zum Beispiel kaum Auftritte im klassischen Sinne gibt, sondern Stimmen einfach aus dem Dunkel auftauchen.

Ein schwieriger Text, experimentelle Musik, Psychoanalyse: Das sind lauter Zutaten, vor denen sich der Durchschnitts-Opernbesucher ein wenig gruselt. Muss man Angst haben?
Koeken: Nein. Claude Lenners hat eine Musik geschrieben, die das innere und äußere Geschehen packend illustriert. Oft impressionistisch, auch wenn das musikwissenschaftlich vielleicht nicht der richtige Begriff ist. Ich glaube, für das Publikum kann das gut funktionieren, wenn die Leute nicht jeden Moment versuchen, alles verstandesmäßig zu erfassen und zu verstehen, sondern sich einfach auf das einlassen, was sie sehen und hören.
Welturaufführung am 6. Oktober, weitere Vorstellung am 8. Oktober.

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