Interview: Ein Konzerthaus muss der Lieferant von Vermittlung sein

Luxemburg · Als Matthias Naske vor drei Jahren sein letztes Kultur-de-Lux-Interview gab, da hatte er seinen Vertrag in Luxemburg gerade bis 2015 verlängert. Nun ist der Mann, der die Philharmonie zum Erfolg geführt hat, doch vorzeitig nach Wien abgewandert. Nach zehn Jahren hinterlässt er ein Haus, das die Musikzeitschrift Rondo kürzlich im europäischen Vergleich als „Musterknaben“ einstufte. Dieter Lintz hat ihn interviewed.

Herr Naske, wenn Sie das heutige Publikum in der Philharmonie mit dem der frühen Jahre vergleichen: Was hat sich geändert?

Naske: Am Anfang haben die Leute da gesessen und jemanden wie Riccardo Muti einfach bestaunt. Inzwischen sehen sie das sehr gelassen, und sie wollen überzeugt werden. Du kriegst keine Standing Ovations mehr umsonst. Und das gefällt mir. Das habe ich gern. Das besondere Lob muss für die magischen Momente aufgehoben werden, sonst wird es inflationär.

Sie haben sich bemüht, auch zeitgenössische Akzente zu setzen - und manchmal Mühe gehabt, das Haus zu füllen. Warum sind Sie so geduldig mit der Moderne?

Naske: Die Radikalität, mit der heute manche zeitgenössischen Komponisten ihre Ästhetik leben, schließt ein breites Publikum aus. Ob das klug ist, weiß ich nicht. Aber wahrscheinlich können sie nicht anders, und es ist ihnen auch wichtig, das so radikal zu machen. Ein Konzerthaus muss dabei der Lieferant von Vermittlung sein, unsere Aufgabe ist das begleitete Hineinführen in die Qualität der künstlerischen Prozesse. Und dafür braucht man einerseits ein gewisses Maß an Freiheit, und andererseits muss man das Geschäft verstehen. Das ist oft eine Frage des Placements.

Eines Ihrer Markenzeichen war Ihre Anwesenheit bei fast allen Konzerten. Haben Sie manchmal auch gelitten?

Naske: Meistens ist das sehr beglückend. Aber ich sage Ihnen: Ich leide mehr als Sie, wenn ein Konzert nicht gut gelingt. Weil ich mich dann mitverantwortlich fühle.

Wie musikalisch gebildet muss ein Publikum heute sein?

Naske: Der Philosoph Günter Anders hat mal gesagt: Der ideale Hörer ist einer, der dem kommenden Ton entgegenhört. Ein tolles Bild, finde ich. Das kann man tatsächlich, auch ohne, dass man die Partitur lesen muss. Es geht darum, sich zu öffnen und sich zu konzentrieren auf das künstlerische Geschehen. Bereit zu sein. Und wenn das Publikum so drauf ist, dann merkt man das auf der Bühne und im Saal. Dann tankt man gemeinsam Kraft.

Sie gelten einerseits als sehr verbindlich, andererseits hatten Sie nie Scheu, Leuten auf die Füße zu treten. Wie ging das im Biotop Luxemburg?

Naske: Was ich gar nicht mag, sind faule Kompromisse. Das habe ich am Anfang öfter deutlich gemacht, und damit macht man sich nicht nur beliebt. Aber die Zusammenarbeit war meistens gut, vor allem mit Frank Feitler vom Grand Théâtre, der eine großartige Arbeit macht. Aber da wird es jetzt viele Umbrüche geben. Feitler geht in Ruhestand, Radio 100,7 hat einen neuen Direktor, Claude Frisoni von der Abtei Neumünster ist auch nicht mehr ewig da. Da passiert eine Menge, und die Politik muss das sorgsam begleiten.

Sie werden das nur noch aus der Ferne beobachten. Wie viel Bedauern ist mit dabei, wenn Sie nach Wien wechseln?

Naske: Jetzt zu gehen, war nicht mein Plan. Ich hätte es hier noch sehr gut ausgehalten. Aber das Wiener Konzerthaus ist natürlich ein wunderbarer Ort und eine tolle Aufgabe. Und ich war lange genug von Wien weg, um dort einen guten Ruf zu haben. Und die warten dort alle auf einen, der Probleme benennt und notwendige Bewegungen anpackt.

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