Luxemburger sauer Britische Zeitung kürt Esch zur „langweiligsten Kulturhauptstadt“ der EU

Esch · Ein Bericht über Esch erregt die Gemüter der Luxemburger. Ein Reporter des britischen „Telegraph“ hat sich Anfang Februar einen Eindruck der Kulturhauptstadt 2022 verschafft. Entstanden ist eine Reportage, die es in sich hat. Nur Belval kommt mit einem blauen Auge davon – wegen eines vermeintlichen Anflugs von Hipsterismus. „Berlin ist es aber nicht“, so das Fazit des Autoren.

Luxemburg: The Telegraph: Esch "langweiligste Kulturhauptstadt“ der EU
Foto: dpa/Harald Tittel

Offenbar ist in Luxemburg der Anbau und Konsum von Cannabis längst erlaubt. Als erstes EU-Land überhaupt habe das Großherzogtum die weiche Droge legalisiert. Das zumindest versucht der britische Autor seiner Leserschaft weiszumachen. Dass es sich nur um die rauschfreie Variante CBD handelt, wird im Verlauf des Artikels nur am Rande vermerkt. Alles andere würde auch nicht ins Narrativ des Autors passen, der die diesjährige Kulturhauptstadt der EU Esch gleich in den ersten Zeilen als öde Provinzstadt darstellt, die man nur im Rausch ertragen kann.

„Ich wusste nicht so recht, was tun. Also habe ich Cannabis gekauft“, lautet der erste Satz der Reportage, die am 5. April unter dem Titel „What happened on a holiday in the EU’s most boring Capital of Culture“ in der britischen Tageszeitung „The Telegraph“ hinter einer Paywall veröffentlicht wurde. „Unser Autor hat Esch besucht, wo sogar dem legalisierten Cannabis der Spaß genommen wurde“, heißt es in der Intro.

Britische Tageszeitung „The Telegraph“ nennt Esch die langweiligste Kulturhauptstadt Europas

Esch sei also die langweiligste Kulturhauptstadt Europas. Nach „RuppEsch“ und „Proletennest“ der nächste Titel, den sich die Stadt ans Revers heften kann? Zumindest versucht der selbsternannte „Travel Writer“ seinen Lesern die „Minettemetropole“ als solche zu beschreiben. Dabei bedient er sich mancher realer Begebenheiten und zahlreicher Vorurteile, die Briten so von Luxemburg haben könnten. Vor allem aber strotzt der Bericht vor krampfhaften Versuchen, Esch als den ödesten Ort der Welt darzustellen. Nicht schmutzig, nicht ruppig. Nur belanglos. Und langweilig.

Ein Mittwoch im Februar: Keine Attraktionen in Esch

Attraktionen gibt es dem Autoren zufolge keine in Esch. Das einzige Museum der Stadt sei geschlossen gewesen. Und auch sonst habe er nichts entdeckt, das für Touristen von Belang sein könnte: keine Märkte, keine schrulligen Läden, keine Dorfidioten. Er sei der einzige Gast bei einem „leeren, aber exzellenten“ Libanesen gewesen. Und auch die meisten Bars, an denen er vorbeigelaufen sei, hätten einen verlassenen Eindruck gemacht.

An diesem Punkt macht der Autor sein einziges Zugeständnis: Die sanitären Auflagen seien wohl der Grund für diesen Zustand. Und der Umstand, dass es ein Mittwoch im Februar sei. „Und doch“, fährt der Journalist fort. Dass die Hochöfen auf Belval nach der Rockhal zu den beliebtesten Attraktionen der Stadt gehörten, verdeutliche die Höhe der Hürden, die Esch im Hinblick auf die Reisebranche zu bewältigen habe, so seine Schlussfolgerung.

Lokale Spezialitäten habe er auch keine gefunden. Dabei produziere Luxemburg durchaus gute Weine, meint der Journalist, bevor er das Lob wieder zunichtemacht: „Die Produktion ist so klein, dass das meiste davon es nicht über die Grenzen schafft.“ Das „Drupi’s“ im Zentrum habe zwar eine gute Weinkarte und heitere Sommeliers, doch „echte, lokale Spezialitäten“ suche man in Esch vergebens: Niemand habe ihm ein Lokal zeigen können, in dem „grüne Bohnen, geräucherte Schweinesuppe, Kartoffelkrapfen und Resiling-Pastete“ (sic!) angeboten werden.

Da hat es Luxemburg-Stadt dem Journalisten schon eher angetan: Er schwärmt geradezu von den verschlungenen Gassen der Altstadt und dem Feinschmecker-Menü, das er mit einem Glas „Reisling“ in einem charmanten Lokal hinunterspülen durfte. Auch entspreche die Hauptstadt mehr seinen Vorstellungen von Luxemburg: hügelige Landschaften, märchenhafte Ortschaften, eine grandiose Architektur sowie … „dubiose Steuerabkommen und verdunkelte Limousinen mit Bankmanagern in Nadelstreifanzügen“.

Luxemburg kommt gut weg beim „The Telegraph“ - Esch sei gewöhnlich

Luxemburg: The Telegraph: Esch "langweiligste Kulturhauptstadt“ der EU
Foto: Eva-Maria Reuther

Weitere Pluspunkte: die schöne Lage, Art-Nouveau-Fassaden, dekorative Türme, das Bank-Museum, Warteschlangen vor dem Hermes-Laden und die Schaufenster teurer Couturiers. „Es hat sich verschwenderisch angefühlt. Etwas muffig. Old money …“, so sein Urteil. „Esch war anders“, heißt es dann. „So gewöhnlich“, mit seinen „unscheinbaren Läden und ruhigen Gassen“: „There was a demure orderliness to the place; no litter, no homelessness, no empty shops. Hardly thriving, but lacking the sense of abandonment you get in some old industrial towns. There was even a provincial theatre.“

Er schafft es sogar, die multikulturelle Bevölkerung durch den Dreck zu ziehen: Er habe viele Gesichter aus anderen Nationen in Esch erblickt – die wohl alle vom Mindestlohn in Luxemburg angelockt worden seien. „Nur dass in Esch niemand unterwegs war, um dieses Geld auch auszugeben“, fährt er fort. „I traipsed the lonely streets looking for life, but succeeded only in aggravating my bunions. That’s when I stumbled upon the cannabis shop.“ Leider sei dem Gras das berauschende THC geraubt worden. Deshalb habe er nur CBD kaufen können.

Auf eigene Faust: Autor schlug wohl Gesprächsangebot der Organisatoren von Esch2022 aus

Außer einem Mitarbeiter im „Pitcher“, der glimpflich davonkommt, scheint der Shopbesitzer die einzig weitere Person zu sein, mit der sich der Autor im Zusammenhang mit dem Artikel unterhalten hat. Ein Gesprächsangebot der Organisatoren von Esch2022 hat er ausgeschlagen, wie Koordinatorin Nancy Braun dem Tageblatt verrät. Der britische Journalist sei vom 9. bis 11. Februar auf Einladung von „Luxembourg for Tourism“ im Großherzogtum gewesen. Dabei habe er es vorgezogen, sich auf eigene Faust ein Bild zu machen.

Nancy Braun bedauert den Umstand, dass der Autor nicht weiter auf die Bemühungen eingeht, die im Rahmen von Esch2022 in der Region und der gesamten Szene unternommen wurden. Auch habe er sich keine Mühe gegeben, die Besonderheiten der „Minettemetropole“ zu entdecken. Stattdessen habe er die Stadt an den eigenen Vorurteilen gemessen – zu einem Zeitpunkt, an dem die Feierlichkeiten nicht einmal lanciert waren.

Es sei allerdings ebenso bedauernswert, dass auch die einheimischen Medien immer noch auf alten Kamellen herumritten und sich negativen Berichten ausländischer Zeitungen widmeten, anstatt die zahlreichen Veranstaltungen hervorzuheben, mit denen man die Menschen bereits zusammengebracht habe. Wie etwa die „Nuit de la culture“, die „Fête du feux“, die Petinger Kavalkade – die allesamt ein Publikumserfolg waren.

Bürgermeister von Esch bezeichnet Arbeit von „The Telegraph“ als billig, unprofessionell und populistisch

Ähnlich sieht es auch Bürgermeister Georges Mischo: „Der Herr hatte wohl zu viel Cannabis konsumiert und es leider verpasst, sich an den richtigen Stellen zu informieren“, meint der Präsident des Verwaltungsrats von Esch2022. An Gelegenheiten habe es nicht gemangelt. „Ich verweise nur auf das hervorragende Feedback der ausländischen Presse nach der Eröffnungsfeier, auf unsere Kunsthalle mit international bekannten Künstlern aus Luxemburg, die Ausstellungen von Filip Markiewicz und Gregor Schneider, die Stolpersteine in Audun-le-Tiche, die Stimmen der Schmelz in Düdelingen, die Galerie Schlassgoart, das Bâtiment 4, das Theater, unsere architektonische Führung durch Esch und, und, und …“, so Mischo. „Dafür hätte er sich aber etwas informieren müssen. Wenn sich ein Journalist dafür zu schade ist, kann ich dessen Arbeit nur als billig, unprofessionell und populistisch abtun.“

Lob für Belval für Industrie-Architektur, vegane Restaurants und unverbrauchte Akademiker

Belval ist (neben „Drupi’s“ und „Pitcher“) der einzige Ort in Esch, der etwas glimpflicher davonkommt. „From a distance, and against the graphite sky, Belval’s towering chimney stacks and blast furnaces looked vaguely dystopian, like a scene from a graphic novel; up close, they were colossal“, so der Autor. Die beeindruckende Architektur habe ihn regelrecht ins Taumeln gebracht. „Dabei hatte ich den Lion’s Cush (aus dem CBD-Shop, Anm. d. Red.) noch nicht angerührt.“

Belval 2.0 sei ein „work in progress“. Das Resultat sei aber beeindruckend, lobt der Journalist und spricht von einem gelungenen Revival. Aus den Aschen der Industriebrache seien Restaurants, Läden und „trendy“ Apartmentwohnungen entwachsen. Er sehe „Anzeichen von Hipsterismus“ und nennt Beispiele wie die funktionelle Industrie-Architektur, vegane Restaurants und unverbrauchte Akademiker – bevor er dem Leser aber wieder sämtliche Lust nimmt, den Ort auch wirklich entdecken zu wollen: „Berlin ist es aber nicht!“

Quelle: Tageblatt.lu

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