Luxemburgs Wissenschaft erfindet sich neu

Luxemburg/Esch-Belval · Biotechnologie, Computeranimation, elektronische Bezahlsysteme und grenzüberschreitende Datenzentren: Mit der offiziellen Eröffnung der Universität Esch-Belval Ende September macht sich Luxemburg als internationaler Forschungsstandort in der Großregion und weltweit unverzichtbar.

Luxemburg/Esch-Belval. Die Stahlkocherstadt Esch-sur-Alzette wird zur Heimat der Forschungselite: Wenn Ende September der neue Campus im Stadtteil Belval offiziell seine Tore öffnet, hat sich das Zentrum im Luxemburger Süden neu erfunden. Dank der Rockhal, der stillgelegten Hochöfen und vieler neuer Geschäfte in der Stadt ist vom Ruß und Staub vergangener Stahljahre vordergründig nicht mehr viel zu sehen. Die erst zwölf Jahre alte Universität Luxemburg wird mit einem Investitionsvolumen von rund 600 Millionen Euro die Stadt zum Aushängeschild von Wissenschaft, Forschung und Unternehmertum in der Großregion machen.Studierende aus 100 Ländern


"Die Entwicklung von der Schwerindustrie zur Wissensstadt ist im vollen Gange. Und es ist immer wieder interessant zu sehen, wie sich das Stadtbild verändert", sagt die Escher Bürgermeisterin Vera Spautz. Die größte Stadt im Luxemburger Süden werde dank der neuen Universität dynamischer und moderner. Dennoch sei es wichtig, "stets unser Erbe als strukturell angeschlagene Industriemetropole im Kopf zu haben, die eine entsprechende Sozialpolitik unumgänglich macht". Die Zahlen sind beeindruckend: Rund 200 Professoren und Dozenten aus 25 Ländern, Studierende aus 100 Ländern, mindestens zweisprachiger Unterricht in einer Stadt, die selbst 120 verschiedene Nationalitäten beherbergt.
Ziel ist es, dass bis 2020 auf dem neuen Campus gut 7000 Studierende und 3000 Lehrende arbeiten.
"Esch wird sich noch weiter verändern", ist Bürgermeisterin Spautz überzeugt. Vor allem vom Neubau des Krankenhauses Südspidol ab 2018, von neuen Gewerbeflächen, privaten Investoren und einem von der Stadt finanzierten Lehrstuhl für Sozialwirtschaft und -management erhofft sie sich positive Auswirkungen auf die Lebensbedingungen.
"Dieser Lehrstuhl soll die Stadt in der Bewältigung ihrer Herausforderungen begleiten. Denn der Wandel muss auch von der Bevölkerung mitgetragen werden", sagt sie und verweist auf regelmäßige Bürgerversammlungen, einen Seniorenkommunalplan und Mehrgenerationenhäuser.
Mit dem neuen Campus ziehen ´nicht nur junge Leute in die Stadt, sondern auch mehrere Institute wie die Forschungsagentur Luxinnovation und der nationale Forschungsfonds (FNR), das Wissenschafts- und Technologieinstitut, das sozio-ökonomische Forschungsinstitut oder das länderübergreifende Datenzentrum Luxemburg Income Study (LIS), das unter anderem den Nobelpreisträger und Wirtschaftswissenschaftler Paul Krugman zu den Referenten zählen kann.
Dauner erforscht Parkinson


Zu den Wissenschaftlern der ersten Stunde in Esch-Belval gehört der deutsche Genetiker Rudi Balling. In Daun-Pützborn als eines von sechs Kindern geboren, ist er heute einer der international renommiertesten Forscher für neurodegenerative Erkrankungen wie Demenz, Alzheimer und Parkinson, aber auch Spezialist für Infektionen, Biotechnologie, Genetik und Immunbiologie. Seit 2009 baut er das Luxembourg Centre for Systems Biomedicine (LCSB) auf mit dem Ziel, Luxemburg als Forschungsstandort berühmt zu machen. "Der Aufbau war sicherlich eines der spannendsten Projekte meiner Karriere", sagt der 61-jährige Wissenschaftler. Er habe sehr viel Freiheit bei der Wahl des Forschungsschwerpunkts, der Parkinson-Krankheit, gehabt und so internationale Talente für das Großherzogtum rekrutieren können. Inzwischen arbeiten bei ihm 200 Mitarbeiter, Mediziner, Informatiker, Chemiker, Physiker und Biologen. Sie alle wollten erforschen, wen bestimmte Krankheiten träfen und warum, wie spezielle Medikamente wirkten. "Wir suchen neue Wege, um eine frühe Diagnose zu ermöglichen, neue Therapieansätze zu entwickeln, um die Krankheit zu heilen oder zu verlangsamen und nicht nur die Symptome zu bekämpfen", erklärt Rudi Balling.

Die Chancen für den Forschungsstandort stehen mit Wissenschaftlern wie Balling, aber auch der staatlichen Unterstützung gut. "Die Uni Luxemburg ist im Wirtschaftsgeschehen ein wichtiger Faktor, da sie Technologie-Unternehmen den Zugang zu ausgebildetem Personal vor Ort bietet", sagt etwa Claude Prim, Leiter Kreditmanagement Retail Banking von BGL BNP Paribas, der mitarbeiterstärksten Bank in Luxemburg. Er berät Unternehmen, die sich in Luxemburg niederlassen wollen, und stellt fest: "In den letzten Jahren hat sich in Luxemburg das Umfeld für junge Unternehmen und Start-ups zum Positiven verändert: Inkubatoren bieten heute Plattformen, die Luxemburg für Jungunternehmer attraktiv machen. Auch der vom Staat und dem Europäischen Investitionsfonds gegründete Luxembourg Future Fund bietet Anreize für die Entwicklung von Hightech-Lösungen."
Ob es ums Umsetzen einer neuen Idee in eine Firma geht oder das Lernen von den Hightech-Firmen aus dem US-amerikanischen Silicon Valley durch den Luxemburger Ableger der Unternehmensberater von PricewaterhouseCooper geht, es wird versucht, Luxemburg als Kreativ-, Forschungs- und Dienstleistungsstandort zu etablieren. Wie anhand der Wirtschaftsstruktur (siehe Grafik) zu erkennen, lebt das Land bereits zu 88 Prozent von Service-Anbietern jeglicher Art. Karin Schintgen, Direktorin des Lux Future Labs (siehe untenstehenden Text), einem Inkubators für Hightech-Neugründungen, beschreibt die chancenreiche, aber auch fordernde Lage des Landes: "Luxemburg ist sich bewusst, dass es weder Land oder Ressourcen hat, worauf es zählen könnte. Deshalb müssen wir Luxemburger uns auf der Suche nach dem Wohlstand von morgen immer wieder neu erfinden." Meinung

Für die Forschung
Früher war das so: Luxemburg hatte ein Centre universitaire - Universitätszentrum. Das klang gut, aber viel machen konnte man dort nicht. Grundstudien in BWL gab es und ein paar andere Fächer, doch im Wesentlichen war klar: Wer studieren wollte, musste erst mal das Land verlassen. Um später gut ausgebildet zurückzukehren. Belgien, Frankreich, Österreich und Deutschland waren beliebte Länder für junge Luxemburger. Die Städte: Brüssel, Paris, Wien, Berlin - und Trier, München oder Freiburg. Meinen ersten Luxemburger hab ich in Trier bereits in den ersten Tagen an der Uni kennengelernt. Mit der Zeit stellte sich raus, dass es einige dort gab -Markenzeichen war meist: Sie sprachen ein leicht singendes Deutsch und hatten bereits ein eigenes Auto. Alles in allem sehr sympathisch. Und eine Disco namens Flying Dutchman lag so verborgen in einem Dorf namens Beaufort, dass man am besten einen einheimischen Guide hatte, denn Navis gab es damals noch nicht. Ja, so lange ist das her. Und heute schwingt sich das Großherzogtum auf, Klassenbester in Sachen Forschung und Lehre zu werden. Toll - für Luxemburg und für die gesamte Großregion!

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