Tipps vom TV-Verkehrsexperteb Unfall im Kondominium
Frau A aus Wincheringen fährt auf dem Weg vom Tanken in Wormeldingen mit ihrem Golf auf der Moselbrücke zwischen Wormeldingen und Wincheringen in Richtung Deutschland. Als sie sich mit ihrem Auto exakt über der Flussmitte befindet, kollidiert sie mit dem Landrover Defender von Frau B aus Wormeldingen, die sich von einer Einkaufstour in Trier auf dem Nachhauseweg befindet.
Am PKW von Frau A entsteht erheblicher Sachschaden. Die Reparaturkosten belaufen sich auf über 5000 Euro. Zudem wird Frau A an der linken Hand und im Bereich der Halswirbel erheblich verletzt. Unmittelbar nach dem Unfall trifft eine luxemburgische Polizeistreife zufällig am Unfallort ein, nimmt den Unfall auf und erstellt nach den Regeln des luxemburgischen Rechts ein Unfallprotokoll. Mit erheblicher Verzögerung erscheint auch eine Streife der deutschen Polizei. Als diese feststellt, dass die luxemburgischen Kollegen schon tätig geworden sind, erklären die deutschen Beamten gegenüber den luxemburgischen Polizisten ihr Einverständnis mit der Prozedur und entfernen sich vom Unfallort, ohne weiter tätig zu werden.
Frau A verklagt die luxemburgische Y-Versicherung, bei der Frau B KFZ-haftpflichtversichert ist, vor dem Landgericht Trier auf Schadenersatz. Bei erster Überprüfung fällt dem Gericht auf, dass der Unfall sich in einem sogenannten Kondominium ereignet hat, also in einem Gebiet unter der gemeinsamen Herrschaft Luxemburgs und Deutschlands.
Bei der Suche nach dem im Kondominium anzuwendenden Recht wird der zuständige Richter zunächst nicht fündig. Später stößt er auf die Schlussakte des Wiener Kongresses von 1815. Hier haben das Königreich Preußen und das Königreich der Niederlande im Vertrag vom 26. Juni 1816 bestimmt, dass die Grenzflüsse Our, Sauer und Mosel zwischen Luxemburg und Preußen gemeinschaftliches Hoheitsgebiet (Kondominium) sind. Die Staatsgrenzen enden an den jeweiligen Flussufern und damit auch die ausschließliche Geltung der jeweiligen nationalen Rechtsordnungen. Die Flüsse gehören beiden Ländern gemeinsam. Dieser Sachverhalt ist im Vertrag vom 19. Dezember 1984 zwischen dem Großherzogtum Luxemburg und der Bundesrepublik Deutschland ausdrücklich bestätigt worden. Laut Artikel 5 Absatz 1 des Vertrages sollten die Vertragsstaaten die Fragen des im gemeinschaftlichen Hoheitsgebiet anzuwendenden Rechts durch eine zusätzliche Vereinbarung regeln.
In einer Antwort auf eine Kleine Anfrage des Abgeordneten Bernd Henter (Konz) hat die Landesregierung am 14. September 2020 mitgeteilt ,dass eine solche Vereinbarung, „soweit feststellbar“, nicht abgeschlossen worden ist. Das bedeutet, dass auch nach Ablauf von 200 Jahren in der Mitte Europas bis heute nicht ausdrücklich geklärt ist, aufgrund welcher Zivilrechtsordnung die Haftungsfragen eines Verkehrsunfalls in einem Teilstück zwischen zwei hochkultivierten Rechtsstaaten zu beurteilen sind. Die Landesregierung führt weiter aus: „Welche Rechtsvorschriften im Fall eines konkreten Rechtsstreits heranzuziehen sind, haben die zur Entscheidung berufenen Gerichte in richterlicher Unabhängigkeit zu entscheiden.“ Ergänzend weist die Regierung noch darauf hin, dass das Kondominium auch die Luftsäule oberhalb der Wasserfläche und die in dieser Luftsäule befindlichen Bauwerke umfasst.
Da es undenkbar ist, dass ein Haftungsprozess nicht entschieden werden kann, nur weil für das Gebiet nicht ausdrücklich geregelt ist, welches Zivilrecht gelten soll, sieht sich der zuständige Richter gezwungen, die Lücke auszufüllen, die Regierungen und Parlamente durch Untätigkeit offengelassen haben.
Die Lösung ist einfach, wenn sich Frau A und Frau B ausdrücklich auf die Geltung des Code Civil oder der deutschen Rechtsvorschriften einigen. Das ergibt sich aus der unmittelbaren, in jedem Falle analogen, Anwendung von Artikel 14 der VO EG vom 11.7.2007 über die justizielle Zusammenarbeit in der EU – auch Rom II genannt. Liegt eine solche Vereinbarung nicht vor, wird es schwierig. Als Anknüpfungspunkt für die Geltung des Code Civil im vorliegenden Fall kommt in Betracht, dass die luxemburgische Polizei mit Zustimmung der deutschen Polizei den Unfall aufgenommen und bearbeitet hat. Darin kann behördliches Einvernehmen darüber gesehen werden, dass der Code Civil gelten soll. Für diese Lösung spricht auch der Rechtsgedanke aus Rom II Artikel 4 Absatz 3, wonach das Recht des Staates gelten soll, zu dem der Unfall eine engere Verbindung aufweist. Durch die Aufnahme des Unfalls durch die luxemburgische Polizei also zu Luxemburg. Es sprechen also gute Gründe dafür, dass vorliegend eher luxemburgisches als deutsches Recht zur Anwendung kommt.
Fazit: Da sich die Ansprüche des Unfallgeschädigten nach luxemburgischem Recht von den Ansprüchen nach deutschem Recht sehr stark unterscheiden können, besteht an der ausdrücklichen Klärung der Frage, welches Zivilrecht im Kondominium gelten soll, ein ausgeprägtes öffentliches Interesse. Die beiden Vertragsstaaten sollten daher unverzüglich den Auftrag umsetzen, damit nicht weiterhin den Gerichten aufgebürdet wird, was eigentlich Aufgabe des Gesetzgebers ist.
Franz Peter Basten (75) ist seit 2004 in Luxemburg als Anwalt zugelassen, seit 2007 als avocat à la Cour, was zur Vertretung auch an den obersten Gerichten Luxemburgs berechtigt, einschließlich der Cour de Cassation, dem höchsten Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit und damit nicht nur das höchste Gericht in Zivilsachen, sondern auch in Strafsachen.