Sommerserie Abenteuer in der Region Große Pötte, eine gebrochene Staumauer und die Liebe: Mit dem Solarboot unterwegs auf dem Luxemburger Stausee : Mit dem Solarboot unterwegs auf dem Naturpark Obersauer

Esch/Sauer · Bei einer Solarboot-Tour auf dem Obersauer-Stausee in Luxemburg geht’s um geheimnisvolle Häuser am Seegrund, eine folgenschwere Katastrophe und einen jungen Mann, dessen persönliche Geschichte spannend und rührend zugleich ist.

 Gilles Folschette steuert das Solarboot über den Stausee Obersauer.

Gilles Folschette steuert das Solarboot über den Stausee Obersauer.

Foto: Marek Fritzen

Der Vergleich ist fies. Irgendwie ungehörig. Capitano Schettino? Er, der seinen Job mit derart viel Leidenschaft ausübt. Er, der das Steuerrad streichelt wie andere den Kopf ihres Stubentigers? Ihn in Verbindung zu bringen mit Chaos-Capitano Schettino, der das Kreuzfahrtschiff Costa Concordia 2012 vor der italienischen Insel Giglio gegen einen Felsen rammte und bevor sein Schiff im Meer versank, als einer der ersten im Rettungsboot verschwunden war? Das geht nicht, überhaupt nicht. Gilles Folschette nimmt’s trotzdem mit Humor: „Manche Fahrgäste erlauben sich halt gern einen Scherz“, erzählt der 23-Jährige mit einem Lächeln im Gesicht. „Sie rufen, ,Ah, Schettino’, oder sowas in meine Richtung, wenn sie aufs Boot kommen. Halb so wild, ich komme damit klar.“

Die Protagonistin dieser Geschichte, das sollte eigentlich Princesse Alexandra sein. Ihres Zeichens Solarboot auf dem größten Stausee Luxemburgs, dem Obersauer-Stausee, unweit der belgischen Grenze. Absolut spannendes Gerät, das Boot. Nicht nur für Technik-Freaks. Doch zunächst wird hier über den zu lesen sein, der Princesse Alexandra übers Wasser führt. Oder: Über den, den Princesse Alexandra übers Wasser fährt – das kann man halten wie man will. Stünde Gilles Folschette – graue kurze Hose, die Haare so fluffig aufstehend wie die Welle auf seinem dunkelblauen Shirt – stünde er mit einem Surfbrett unterm Arm am Ufer des Stausees, es würde stimmig erscheinen.

Doch der 23-Jährige steht nicht am Ufer. Er steht am Steuer. Also gleich, in wenigen Minuten. Denn momentan – es ist kurz vor 16 Uhr an diesem sonnigen Mittwoch Mitte Juli – momentan steht er auf einem Holzsteeg am Ufer des Sees. Hinter ihm da schaukelt sie, die Prinzessin. Sanft nach links, sanft nach rechts. An dieser Stelle von Wellen zu sprechen, würde jedem Nord- und Ostsee-Anrainer wahrscheinlich ein solides Lächeln ins Gesicht zimmern. Na, jedenfalls wirkt es so, als mache sich die elektromobilisierte Dame nochmal kurz locker für die in wenigen Minuten beginnende zweistündige Nachmittagsrunde über den See. Dabei: Harte Arbeit erwartet sie nicht. Lediglich acht Fahrgäste steigen an Capitano Folschette vorbei ins Innere des Solarbootes, nehmen im hinteren Bereich unterm Sonnensegel Platz. Acht Fahrgäste heißt: ausgebucht. Mehr geht nicht in Zeiten des Virus. Ohne Corona könnte der Kapitän bis zu 23 Personen auf seinem Boot begrüßen. Aber so ist es eben. Und Folschette findet ohnehin: „Ist entspannter und jeder hat mehr Zeit, Fragen zu stellen.“

Fragen, die Annemarie während der Fahrt beantwortet. Die Luxemburgerin, die ihren Geologie-Bachelor in Bordeaux gemacht hat und nun für ihren Master nach München wechselt, sie kennt sich aus auf dem Obersauer Stausee. Durch sie werden die Fahrgäste nach der Tour wissen, dass die tiefste Stelle des Stausees bei rund 43 Metern liegt. Durch sie werden sie wissen, dass am Grund des Sees noch Überreste mehrerer Mühlen zu finden sind, deren Besitzer in den 1950er Jahren vor Flutung des Areals umgesiedelt worden waren und neue Häuser sowie gut dotierte Jobs beim Luxemburger Staat erhalten hatten. Durch sie werden sie außerdem wissen, dass der Stausee, der zu den beliebtesten Sommer-Ausflugszielen im Großherzogtum zählt, in den 1960er Jahren einmal eilig abgelassen werden musste, um die gewaltige Staumauer auf Schäden hin zu überprüfen. Der Grund: In der Provence nahe Fréjus war es kurz zuvor zu einem katastrophalen Staumauerbruch gekommen und der Architekt der Staumauer dort hatte auch die Mauer des Obersauer Stausees geplant. Doch kurz darauf gab‘s Entwarnung für Luxemburg: alles sicher!

Das gilt an diesem Mittwoch auch auf der Princesse Alexandra: Lautlos gleitet das Schiff über das schlangenförmig, dem ursprünglichen Verlauf der Sauer folgenden Gewässer – „der Fluss fließt noch heute am Grund des Stausees“, weiß Annemarie. Während dichte Wälder die Uferbereiche auf beiden Seiten säumen, ab und an mal ein Kajakfahrer am Boot vorbeischnauft, hält Gilles Folschette das Steuerrad locker in einer Hand. Für den 23-Jährigen, der aus der Nähe stammt, sind die Touren auf dem See mehr als ein Ferien-Studentenjob. „Boote, Schiffe – das faszinierte mich schon als kleiner Junge.“ Wann immer eine Schiff-Dokumentation im Fernsehen gelaufen sei, er habe sie sich angesehen. „In meiner Familie ist sonst niemand Schiffskapitän oder Ähnliches“, erzählt der junge Luxemburger. „Ich weiß nicht woher mein Interesse kommt. Es war einfach da.“

 Großes Abenteuer für kleine Fahrgäste: Die zweijährige Lissi kühlt ihre Füße im Seewasser.

Großes Abenteuer für kleine Fahrgäste: Die zweijährige Lissi kühlt ihre Füße im Seewasser.

Foto: Marek Fritzen

Nach dem Abitur entschloss sich Folschette zu einem außergewöhnlichen Studiengang: Nautische Wissenschaft in Antwerpen. Dort an der Uni der belgischen Hafenstadt ist er einer von drei Luxemburgern in seinem Studiengang. Hat der 23-Jährige seinen Abschluss in der Tasche, darf er als Kapitän die richtig großen Pötte über die Weltmeere bewegen. „Dagegen“, so sagt Folschette lachend, „dagegen sind die Touren hier mit dem Solarboot auf dem Stausee wie Urlaub“. Über die sieben Weltmeere zu schippern, Indonesien, Suez-Kanal, China, Wochen, Monate unterwegs sein – von alldem habe er schon als Kind geträumt.

 Geologie-Studentin Annemarie erklärt den Fahrgästen alles zu Flora und Fauna rund um den Stausee.

Geologie-Studentin Annemarie erklärt den Fahrgästen alles zu Flora und Fauna rund um den Stausee.

Foto: Marek Fritzen
 Wenn die Solarzellen auf dem Dach der Princesse Alexandra nicht genug Energie liefern, dann greift das Boot auf Batterien zurück.

Wenn die Solarzellen auf dem Dach der Princesse Alexandra nicht genug Energie liefern, dann greift das Boot auf Batterien zurück.

Foto: Marek Fritzen
 Annemarie informiert über den Fischbestand im See.

Annemarie informiert über den Fischbestand im See.

Foto: Marek Fritzen
 Bei der Arbeit: Kapitän Gilles Folschette.

Bei der Arbeit: Kapitän Gilles Folschette.

Foto: Marek Fritzen

Folschette und seine Princesse erreichen jetzt den Ausgangspunkt der Tour. Locker und ohne Ruckeln setzt er das Solarboot an den Holzsteg. Zwei Stunden sind vorüber. Noch schnell die Taue befestigt, dann ist die Tour beendet. „Au revoir, Madame. Salu, Monsieur“. Die Fahrgäste sind gerade von dannen gezogen, da kommt der Kapitän nochmal auf seinen Jugendtraum zurück. Ja, die Seefahrt, das sei nach wie vor seine Passion, keine Frage. Nur wochen- und monatelang unterwegs zu sein, das müsse doch nicht unbedingt sein, findet Folschette. Er grinst. Dann blickt er nach rechts zu Sara, seiner Freundin, die ihn an diesem Nachmittag auf dem Boot begleitet hat. Sara grinst zurück. Wäre die Princesse Alexandra so ein richtig dicker Pott, sie hätte ihr Schiffshorn vor Rührung vermutlich gleich mehrmals ertönen lassen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort