Abenteuer mit einem 105-jährigen Pflegefall

Osann-Monzel · "Da kann man was draus machen." Mit dieser Ansicht standen die Käufer eines Bauernhauses von 1908 in Osann beinahe allein. Inzwischen muss jeder Zweifler zugeben: Es hat sich gelohnt, das alte Gemäuer zu retten. Das Haus in der Bernkasteler Straße 42 in Osann ist ein Beispiel für den erfolgreichen Schutz historischer Bausubstanz.

 Heute, nach der Renovierung durch Ingrid Herres-Ertz und Josef Steffen, besitzt das Haus ein neues Gesicht. TV-Foto: Sybille Schönhofen

Heute, nach der Renovierung durch Ingrid Herres-Ertz und Josef Steffen, besitzt das Haus ein neues Gesicht. TV-Foto: Sybille Schönhofen

Es begann vor 15 Jahren wie ein großes Abenteuer. Josef Steffen aus Bitburg suchte für sich und seine Lebensgefährtin Ingrid Herres-Ertz aus Piesport ein Haus an der Mosel. In Osann wurde der Bankangestellte 1998 fündig. Als er es seiner Lebensgefährtin präsentierte, sei sie fast in Ohnmacht gefallen, erzählt diese. Sie stand vor einem winzigen Bauernhaus aus dem Jahr 1908. Es gab nur zwei kleine Räume darin, dazu eine Scheune und einen Stall. Jahrelanger Leerstand hatte die Attraktivität nicht gesteigert.Die Eier lagen noch im Topf

Innen war alles noch so, wie es die letzte Bewohnerin beim Umzug ins Pflegeheim zurückgelassen hatte. In der Küche lagen sogar noch die Eier in den Töpfen. Trotzdem kaufte das Paar das Anwesen. Ihre Fantasie reichte aus, um es sich schönzumalen.

Eines sollte niemand, der ein altes Haus kauft, versäumen, raten sie: ein Gutachten über die Bausubstanz einzuholen . Das bewahre vor bösen Überraschungen. Josef Steffen und Ingrid Herres-Ertz wussten von Anfang an, was auf sie zukommen würde. Die Bausubstanz war zwar in Ordnung, aber es gab nur eine einzige Wasserstelle im Haus, nur eine Toilette mit Ablauf in die Jauchegrube und keine Heizung. Neben der Einrichtung von Be- und Entwässerung musste die Stromversorgung neu geplant und installiert werden. Und bevor sie die Renovierung überhaupt angehen konnten, musste das Paar erst einmal fünf Container mit altem Plunder aus dem Haus räumen.Für eine großzügigere Raumaufteilung plante Josef Steffen den Grundriss neu. Wände wurden geöffnet, Türen versetzt, drei Bäder geschaffen. Der Speicher wurde zum Wohnraum umgebaut, ebenso die Scheune, die direkt an den Hausflur grenzte und heute Wohnzimmer ist. So erweiterten die neuen Besitzer die Wohnfläche von 70 auf 200 Quadratmeter. Vom Sofa aus blicken sie jetzt durch das bleiverglaste Scheunentor auf den gepflasterten Hof, der in einen idyllischen Garten mit Aussicht auf den Hüttenkopf übergeht.

Der ideale Platz für einen kleinen Cafébetrieb, in dem sie als Winzerin ihren eigenen Wein ausschenken könnte, träumt Ingrid Herres-Ertz. In mehreren Terrassen hat sie im Garten eine lauschige Wildnis mit Teich geschaffen. Stufen aus Eisenbahnschwellen führen hinab zur Wiese, die von Büschen eingerahmt ist. Alle paar Schritte laden Sitzgelegenheiten zum Verweilen und Staunen zwischen den kunterbunten Beeten ein. Im Apfelbaum hängt ein grünes Fahrrad, auf die Enden toter Äste eines Eichenbaums sind Weinflaschen gestülpt. Von einem Spalier mit Weinreben baumeln Töpfe herab. Ein Essigbaum ist mit Handtaschen dekoriert, aus denen Erika wachsen. Aus dem Dach der Holz-Garage ragt ein Holunderbaum. Im Garten wie im Haus genießen Steffen und Herres-Ertz die Gemütlichkeit, die ihnen das hell verputzte Schieferhaus mit schmucken Sandsteingesimsen um weiße Sprossenfenster bietet.Sieben Monate bis zum Einzug

 Zustand vor der Renovierung: Mit diesem Foto warb die Immobilienabteilung der Sparkasse Bernkastel-Wittlich 1998 für den Kauf. Foto: Sparkasse

Zustand vor der Renovierung: Mit diesem Foto warb die Immobilienabteilung der Sparkasse Bernkastel-Wittlich 1998 für den Kauf. Foto: Sparkasse


Nur sieben Monate haben sie für die liebevolle Instandsetzung bis zum Einzug gebraucht. Rekordzeit. Ihr Rat für alle, die wie sie jede freie Minute in ein solches Projekt stecken: Man sollte sich einen festen Tag in der Woche nehmen, an dem man Freizeit mit der Familie einplant. Damit sie möglichst schnell vorankamen, verzichteten sie darauf, die Hand nach Geldern aus öffentlichen Töpfen auszustrecken. Damit wollten sie auch jeglichen Auflagen aus dem Weg gehen. Viel Schützenswertes sei innen sowieso nicht zu erhalten gewesen. Übrig geblieben sind noch originale Zimmertüren, Bodenfliesen und die Treppe. Was raus musste, wurde an anderer Stelle wieder verwertet. Wo Steine fehlten, besorgte Steffen sie von anderen alten Abrisshäusern, um den Stil zu wahren.

Warum sie dieses Abenteuer eingegangen sind? Weil er sich wohlfühlt in Häusern, die ihn an seine Kindheit in Bauernhäusern der Eifel erinnern, antwortet Steffen, der aus Beilingen stammt. Freunde und Verwandte wollten nicht an das Projekt glauben. Die beiden aber behielten recht mit ihrer Sicht: "Da kann man was draus machen." Wer sie heute besucht, ist entzückt. Josef Steffen und Ingrid Herres-Ertz würden sich wieder für den hundertfünfjährigen Pflegefall entscheiden. Mit der Einschränkung, dass sie dafür noch mal zehn Jahre jünger sein müssten, sagt der 70-Jährige und lacht.

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