Abenteuerliche Flucht in die Heimat

KRÖV. Walter Weißkopf (82) aus Kröv ist ein lebensbejahender, fröhlicher Mensch. Gelassen und zufrieden blickt er auf sein Leben zurück. Dabei hat es das Schicksal mit ihm – und den meisten seiner Generation – nicht gut gemeint. Als junger Mann musste er in den Krieg ziehen und erlebte dort viel Schreckliches. Das Kriegsende ist eine Geschichte für sich. 1945 flüchtete er unter abenteuerlichen Umständen aus der Tschechei nach Kröv.

19 Jahre war Walter Weißkopf, als er 1941 in den Krieg ziehen musste. In Wittlich hatte er sich zu melden, dann ging es nach Osten. Zunächst nach Prag und dann schon an die Front. Nach Charkow, wo eine Kesselschlacht tobte, von dort an den großen Don-Bogen, wo die Kräfte für die Schlacht um Stalingrad zusammengezogen wurden. Ein Granatsplitter, der ihn am Fuß schwer verletzte, rettete ihn vor Stalingrad. Man brachte ihn mit hunderten anderen Verletzten im Güterzug nach Polen und dann weiter nach Deutschland. In Frankreich wurde Walter Weißkopf zum zweiten Mal verwundet, er kam erneut ins Lazarett und von dort zu seinem letzten Kriegseinsatz nach Pilsen in der Tschechei. Dort bildete er an einer Unteroffiziersschule Piloten zu Infanteristen aus, denn mangels Treibstoff gab es für die Flieger keine andere Verwendung mehr. Es waren die letzten Tage im April 1945. Das Ende des Krieges stand unmittelbar bevor. Große Unsicherheit prägte die Stimmung unter den Soldaten. Soll man, muss man noch kämpfen? Komme ich in Gefangenschaft, womöglich nach Sibirien? Walter Weißkopf, immer noch in Pilsen, plante zusammen mit einem Piloten die Flucht mit einem Flugzeug Richtung Westen. Doch die Flucht scheiterte, bevor sie überhaupt begonnen hatte. Der Pilot wurde kurzfristig an einen anderen Standort geschickt. Am 5. Mai erhoben sich die Tschechen gegen die deutschen Besatzer, in Pilsen herrschte Chaos. Es gab Schießereien. Von Westen waren die Amerikaner inzwischen bis Pilsen vorgerückt. Weißkopf und fünf andere Kameraden hatten Angst. Angst vor Rache, Angst davor, an die Tschechen ausgeliefert zu werden. Sie entschlossen sich, sich zu Fuß in Richtung Heimat aufzumachen. Unterwegs stießen sie auf eine Flackstellung, bewacht von einem 16-Jährigen. "Es war nicht möglich, den Jungen zum Mitkommen zu überreden", erinnert sich Weißkopf. "Er wollte seinen Befehl ausführen, dabei waren seine Vorgesetzten längst über alle Berge." In einem Dorf hörten sie Hilfeschreie einer Frau. Sie war eine Deutsche und wurde von den Dorfbewohnern beschuldigt, einem Mann die tschechische Frau ausgespannt zu haben. Über ihr weiteres Schicksal erfuhren die Soldaten nie mehr etwas. Am vierten Tag erreichte die Gruppe die deutsche Grenze. Zuvor hatten sie noch eine prekäre Situation zu überstehen: Versteckt in einer Waldlichtung, tauchte plötzlich ein Panzerwagen mit Tschechen auf, die Spürhunde an der Leine hatten. Aus sicherer Entfernung beobachteten sie, wie die Tschechen drei deutsche Landser aus dem Wald herausholten und abführten. An der deutschen Grenzen trennten sich die sechs - je nach Heimatort zogen sie weiter in Richtung Süden, Westen oder Norden. Walter Weißkopf, der noch immer in Soldatenuniform steckte, zog allein weiter. Von einem Bauern erhielt er blaue Arbeitskleidung. "Davon hab' ich noch mehr. Die hab' ich mir aus einem Lager besorgt", sagte der undurchsichtig wirkende Mann. Auf einem anderen Hof traf er nur die Bäuerin an. Sie kochte ihm einen Topf mit Pellkartoffeln, und dort tauschte Weißkopf seinen praktischen und wertvollen Luftwaffenrucksack gegen einen Kartoffelsack. "So fühlte ich mich sicherer. Ich wollte nicht auffallen und in Gefangenschaft geraten", sagt der heute 82-Jährige. Zu Hause wartete außerdem seine Verlobte auf ihn. "Die hat mich gezogen", sagt Weißkopf und lächelt. Am 13. Mai kam Weißkopf in das oberfränkische Städtchen Eggolsheim. Ein Berliner, der seine dorthin im Krieg evakuierte Frau heimholte, schenkte ihm, aus Dankbarkeit den Krieg überlebt zu haben, sein Fahrrad. Zwei Tage später erreichte er Ochsenfurt. Dort sah er einen Lastwagen, der Richtung Ruhrgebiet abfuhr. Seine Ladung: 30 Kinder, die wieder in ihre Heimatorte gebracht werden sollten. Der Fahrer nahm Weißkopf und einen anderen "flüchtigen" Soldaten aus der Eifel nach langem Bitten mit. Weil das Fahrzeug unter der Flagge des Roten Kreuzes fuhr, passierten sie relativ problemlos mehrere Kontrollpunkte. Die Kinder hatten alle noch ihre braunen Uniformen an, am Straßenrand stehende Amerikaner riefen ihnen spöttisch "Heil Hitler" zu. In Oberwesel stiegen die beiden vom Lastwagen und marschierten zu Fuß weiter über den Hunsrück an die Mosel. In Kastellaun übernachteten sie, und am 18. Mai 1945, abends um halb sieben, erreichte der junge Mann Kröv. Walter Weißkopf hält etwas inne, nachdem er die Geschichte erzählt hat. Klingt wie ein spannendes Abenteuer. "Nein, das war es nicht", sagt Weißkopf. "Es war scheiße. Die Jugend soll das wissen. Es darf nicht noch einmal so etwas geschehen."

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