Alte Hoffnung, neuer Mut

WITTLICH. Das Projekt "Älter werden in Deutschland" soll Spätaussiedlern helfen, auf ihre alten Tage alle Möglichkeiten wahrzunehmen, die ihnen die neue Heimat in Ergänzung zu den Leistungen der eigenen Familie bietet. Auch in Wittlich startete nun die Veranstaltungsreihe.

Sie sind eine große Herausforderung für die Gesellschaft: Die oft erst im hohen Alter ausgewanderten Migranten, nach aktuellen Schätzungen 700 000 über 60 Jahre, zu denen noch etwa 400 000 Spätaussiedler hinzu gezählt werden müssen. Dieses potenzielle Klientel der deutschen Seniorenhilfe hat spezielle Probleme: Es hat von zu Hause Erwartungen an die eigene Familie mitgebracht, die sich in Deutschland oft in Luft auflösen, weil Tochter, Schwiegertochter, Enkelkinder arbeiten oder in eine andere Gegend ziehen. Die Älteren beherrschen die deutsche Sprache oft nur schlecht, sie kennen sich weder in der Gesetzeslage noch in den Einrichtungen aus, die in der neuen Heimat angeboten werden. Und: Das hohe Alter macht ein Umdenken nicht leichter. "Wie Krankenhäuser in Russland aussehen, weiß ich nicht", sagt Lydia Scheiermann, "aber in Kasachstan sind sie furchtbar." Von der Bettwäsche bis zu Essen und Trinken müsse man sich selbst versorgen, gerade mal, dass einem die Krankenschwester die Spritzen setze, erzählt die Seniorin, die sich mit 54 Jahren den Traum von der deutschen Heimat erfüllte. Völlig tabu sind in Kasachstan Altenheime: Nur völlig vereinsamte und verarmte alte Menschen werden hier zum Sterben hingebracht, ansonsten kümmern sich mit großer Selbstverständlichkeit die Kinder um ihre Eltern. Lydia Scheiermann hat keine Angst: Ihre Kinder sind vor 14 Jahren mit ausgewandert, und außerdem ist sie zur Zeit noch rüstig genug, um sich und ihren Mann zu versorgen. Was danach kommt, sieht oft anders aus als erwartet. Davon weiß Marlene Merkes, beim DRK Migrationsberaterin und Sozialarbeiterin, ein Lied zu singen. Darum hat sie die Einladung zu einer Veranstaltung ausgesprochen, die die vielen ungeklärten Fragen von alten Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion beantworten soll. Ja, die Kirche und das DRK haben ihnen viel geholfen, sagen viele Russland-Deutsche in der Pause nach dem Film, der ihre Ängste und Hoffnungen so deutlich widerspiegelte. Und natürlich die Frauen vom Kulturverein der Russischsprechenden. Nele Wolf und Tatjana Musevii vom Verein begleiten sie auch heute, machen Mut, sich an den folgenden fünf Treffen zu beteiligen: Sie werden gemeinsam die Bücherei, ein Altenheim und die Einrichtung "Essen auf Rädern" besichtigen, sie dürfen ihre Sorgen artikulieren, ihre Fragen stellen, kurzum: Sie werden danach klüger sein als heute. Und ein Stückweit Sicherheit in ihrer neuen Heimat gewinnen, in der sie, auch dies eine enttäuschte Hoffnung, Randgruppe geblieben sind. Dort waren sie die Deutschen, hier sind sie die Russen, sagt Scheiermann bedauernd. Gerne lassen sich die Spätaussiedler auf das Angebot von Marlene Merkes ein. Doppelt so viele Angemeldete wie erwartet beweisen, wie dringend ihre Informationen gebraucht werden. Merkes freut sich: "Dann teilen wir die vielen Interessenten eben auf zwei Gruppen auf", entscheidet sie spontan. "Eine beginnt in der nächsten Woche, die nächste im neuen Jahr."

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