Alter Tannenzweig erzeugt Gänsehaut

Traben-Trarbach · Ein Zigarrenkästchen mit einem unversehrten Tannenzweig erreicht erst nach hundert Jahren sein Ziel. Reservist Haussmann hatte sie von der Front in Belgien an Heinrich Kaeß in Traben-Trarbach abgeschickt. Auf einer rot-weiß-blauen Schleife steht der Gruß "Fröhliche Weihnachten 1914".

Traben-Trarbach. Gänsehaut überkommt Heike Kaeß immer wieder, wenn sie das Kästchen öffnet und den eingetrockneten Tannenzweig mit dem Weihnachtsgruß betrachtet. "Es ist wie ein kleines Wunder", sagt Ehemann Heinrich Kaeß, an dessen Großvater dieser Gruß vor 100 Jahren adressiert war. Der Tannenzweig, gebettet auf Ilexblättern, ist verziert mit einer blau-weiß-roten Schleife aus Kreppband. Darauf geschrieben steht "Fröhliche Weihnachten 1914". "Warum genau diese Farben", fragt sich Kaeß. Erinnern sie an die Uniformen des preußischen Militärs, die teilweise die Farben blau-weiß-rot trugen? Oder an die Reichsfarben im Wilhelminischen Kaiserreich? Die Antwort auf diese Fragen bleibt ein Geheimnis."Dieses späte Geschenk aus dem Ersten Weltkrieg birgt keine weltbewegende Geschichte", sagt Heinrich Kaeß. Aber es erzählt eine Geschichte, die sich aus zahlreichen Zufällen zusammensetzt. Und sie berührt, wenn man den kleinen Tannenzweig sieht, der so viele Jahre überstanden hat. Die Geschichte beginnt vor mehr als vier Jahren, als ein guter Bekannter Heinrich Kaeß anrief. "Mein Bekannter ist begeisterter Sammler und durchforstet das Internet stets nach Angeboten von Antiqitäten und Büchern über unsere Heimat", berichtet Kaeß, der sich ebenso für Heimatgeschichte interessiert. Der Bekannte forderte ihn auf, sich bei einem Internet-Auktionshaus einzuloggen - dann werde er große Augen machen. Und tatsächlich war Kaeß\' Verwunderung groß, denn auf der angegeben Seite kam ein Zigarrenkästchen, das zur Weihnachtsgrußkarte umfunktioniert war, zur Versteigerung. Angeboten wurde das Kästchen von einem Briefmarkenhändler in der Nähe von Prüm/Eifel. Adressiert war es an "Heinrich Käß und Familie", Traben-Trarbach/Mosel". "Heinrich Käß - das war mein Großvater", sagt der 60-jährige Heinrich Kaeß. Für 15 Euro ersteigerte er diesen "kostbaren Feldpostbrief". Er selbst lebt mit seiner Familie in dem Haus, das der Großvater um 1900 baute. So kam der Weihnachtsgruß nach hundert Jahren endlich an seinem Ziel an. Frankiert war das Kästchen mit einer Briefmarke des damaligen Deutschen Reiches, darauf zu sehen die Germania. Als Absender ist zu lesen: Reservist Haussmann vom Korps Fernsprech-Abteilung XXI. A. K. Kaeß recherchierte und fand heraus, dass das XXI. Armee-Korps (auch Saarbrücker Korps) 1912 entstand und es sein Hauptquartier in Saarbrücken hatte. Es umfasste die Regierungsbezirke Koblenz und Trier sowie einen Teil von Elsaß-Lothringen. Die Freude war groß, als wenige Tage später das Päckchen ankam. "Dieser Freund hatte meinem Großvater und seiner Familie einen Gruß zu Weihnachten 1914 von der Front aus Belgien geschickt", sagt der Enkel und staunt über das erworbene Fundstück, das eine lange Reise hinter sich hat. Die Feldpost mit dem kleinen Tannenzweig und der selbst gebastelten Schleife blieb wohl irgendwo in der Eifel hängen und überdauerte so auch unbeschadet die Wirren des Zweiten Weltkriegs. "Vielleicht lagerte es auf einem trockenen Speicher, dafür spräche die Unversehrtheit des Zweiges", vermutet Kaeß. Auch Kaeß\' Frau Heike wundert sich darüber, dass der Zweig keine einzige seiner Nadeln verloren hat. "Das ist für mich ein kleines Wunder. Denn wäre das Kästchen 1914 wie geplant angekommen, dann würde es heute möglicherweise nicht mehr existieren." Nun liegt das Kleinod geschützt und sicher verwahrt neben anderen Schätzen in einer Vitrine. volksfreund.de/wk1

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