Altricher Tierheim gibt Katzen für Studie an Uni

Altrich · Das Altricher Tierheim platzt aus allen Nähten. Leiter Rainer Kordel hat sich deshalb zu einem ungewöhnlichen Schritt entschieden: Er arbeitet für eine Studie zu einem Medikament gegen Katzen-Aids mit der Münchener Uniklinik zusammen. Sieben infizierte Katzen werden dort behandelt. Als Gegenleistung wird für sie und vier weitere Artgenossen vor Ort ein neues Zuhause gesucht.

 Tierheimleiter Rainer Kordel mit einer der betroffenen Katzen. TV-Foto: Klaus Kimmling

Tierheimleiter Rainer Kordel mit einer der betroffenen Katzen. TV-Foto: Klaus Kimmling

Ganz wohl fühlt sich Tierheimleiter Rainer Kordel nicht bei dem Gedanken, sieben seiner Heimkatzen für eine Medikamentenstudie an die Uniklinik in München zu geben. "Es ist nicht so, dass ich das für eine tolle Idee halte, aber es ist die beste Alternative", sagt er. Im Heim ist es derzeit eng, besonders in den vier Räumen, in denen die mit Katzen-Aids (siehe Extra) infizierten Tiere separat gehalten werden, damit sie die gesunden Vierbeiner nicht anstecken. Einige der 23 Tiere müssen mit Ein-Quadratmeter-Boxen vorliebnehmen, damit sie keinen Streit mit ihren Artgenossen anfangen.

Kordel würde gerne ein großes Außengehege für kranke Katzen bauen, doch dazu fehlt das Geld. Der Heimleiter kann zurzeit kaum die regulären Ausgaben des Heims decken. Durch die vielen mit Katzen-Aids infizierten Tiere - 15 kamen allein von einem alten Mann, der gestorben ist - schnellen die Arztkosten in die Höhe. In anderen Heimen würden Katzen, wenn sie überhaupt auf Aids getestet werden, bei positivem Ergebnis eingeschläfert, sagt Kordel. Und ständig gibt es Anfragen, ob das Heim weitere Tiere aufnehmen kann.

In dieser Situation hat Kordel nach intensiver Prüfung und Rücksprache mit seinem Tierarzt Ja zu einem Angebot der Uniklinik in München gesagt. Die Klinik testet ein neues Medikament gegen Katzen-Aids, das aus der Erforschung des menschlichen Aids stammt. Sieben infizierte Katzen aus Altrich sollen daran teilnehmen. Die Klinik arbeitet mit vielen Heimen zusammen und ist durch die WDR-Sendung "Tiere suchen ein Zuhause" auf die Altricher Einrichtung gestoßen. Professorin Katrin Hartmann, Direktorin des Münchener Zentrums für Klinische Tiermedizin, sagt: "Das Medikament wurde schon von anderen in echten Tierversuchen erprobt, wir dürfen so was nicht machen. Es hat sich gezeigt, dass das Mittel die Unterdrückung des Immunsystems verringert und nicht schädlich ist. Nebenwirkungen wurden bislang nicht gefunden." Nun werde getestet, ob das Medikament auch bei Tieren wirke, die sich selbst angesteckt haben, und nicht nur bei Katzen, die für das Experiment infiziert wurden.
Sechs Wochen lang täglich eine Spritze

Für die Altricher Katzen bedeutet dies: Sechs Wochen lang gibt es täglich eine Spritze unter die Haut. Drei Mal wird ihnen in der ganzen Zeit je ein Milliliter Blut abgenommen. Zeigen sich Nebenwirkungen, wird die betroffene Katze sofort aus der Studie genommen, medizinisch versorgt und vermittelt. Hartmann: "Ich will den Tieren helfen. Wir haben die Hoffung, dass sie mit wirksamem Medikament ein langes und gutes Leben führen können."

Doch schon in der Zeit der Studie soll es den Katzen - bis auf die Behandlung - besser gehen als im Tierheim. Kordel hat sich vor Ort von den Bedingungen überzeugt. Die Tiere werden in drei Räumen mit zusammen 40 Quadratmetern untergebracht und von fünf Tierpflegerinnen und mehreren Tierärzten betreut. Kordel: "Platzangebot und medizinische Versorgung sind besser als bei uns."

Zudem werden die sieben Tiere plus vier weitere aus dem Heim nach den sechs Wochen in ein neues Zuhause vermittelt. Hartmann: "Unter den etwa 1500 Tiermedizinstudenten an der Uni München haben viele ein großes Herz. Wir haben schon viele kranke und deshalb schwer vermittelbare Katzen gut untergebracht."

Für Rainer Kordel ist der Stress, den seine Tiere beim täglichen Spritzen in München mitmachen, vor diesem Hintergrund das kleinere Übel. Er sagt: "Wenn die Tiere bei uns krank werden, haben sie auch Stress. Bei den Aidskranken geht gerade ein Schnupfen um. Es kann sein, dass wir sie mit einem Antibiotikum behandeln müssen. Wir haben einige Katzen, die auf ein zugelassenes Antibiotikum mit starkem Erbrechen oder Durchfall reagieren." Kordel steht zu seinem Entschluss. Doch sagt er auch: "Wenn jemand eine bessere Idee hat, soll er damit zu mir kommen. Dann mache ich das, wenn es möglich ist."

Extra

Katzen-Aids ist eine durch Viren ausgelöste Infektionskrankheit. Das Virus, das vor allem durch Bisse bei Kämpfen übertragen wird, ähnelt dem Auslöser von Aids beim Menschen, ist für diesen aber ungefährlich. Es schwächt das Immunsystem und kann Folgeerkrankungen auslösen, die zum Tod führen. Laut Schätzungen sind elf Prozent der Katzen weltweit mit dem Virus infiziert. Ob sie erkranken, hängt von den Lebensumständen ab. Aidskranke sollten im Haus gehalten werden, um das Risiko von Infekten zu minimieren. Die beste Vorsorge gegen Katzen-Aids ist Kastration. (mai)

Meinung

Mutig und verständlich

Es ist mutig, dass Tierheimleiter Rainer Kordel sein Vorhaben, einige seiner Katzen zu einer Medikamentenstudie zu geben, öffentlich macht - im TV und auf der Homepage des Heims. Er stellt sich der erwartbaren Kritik. Die Gründe für seinen Entschluss sind gut nachvollziehbar. Den mit Katzen-Aids infizierten Tieren wird es aller Voraussicht nach in der renommierten Münchener Klinik tatsächlich besser gehen als im Altricher Eifeltierheim. Sie werden medizinisch intensiv betreut, haben viel Platz und tragen wohl nur ein geringes Risiko für schädliche Nebenwirkungen des Medikaments. Dafür besteht die Hoffnung, dass das Immunsystem der Tiere gestärkt wird. Die Tiere erhalten zudem ein neues Zuhause. Mit qualvollen und unnötigen Tierversuchen hat all das nichts zu tun. Das Mittel wurde bereits erprobt. Die Risiken einer Medikamentenstudie, ob beim Tier oder Mensch, sind überschaubar. Andererseits sind sie der Preis für den Fortschritt. m.maier@volksfreund.de

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