Am Anfang war ein "Wudzji"

WITTLICH. Wie eine Niederlage zum Triumph werden kann, beweisen die Wittlicher alljährlich mit ihrer Kirmes. Sie inszenieren eine verkehrte Welt, lassen sich heutzutage freiwillig erobern, verwandeln Feind mit Wein in Freund und feiern diese hervorragende Friedensleistung seit dem Wochenende wieder im großen Stil.

Ob es die Gleichzeitigkeit von Mittelalter, Säubrennerzeit im Jahr 55 "noa Meehse Matti" plus "Normalzeit" 2005 ist, die alljährlich in der Kleinstadt dafür sorgt, dass die Nacht zum Tag und Wittlich für Feiernde zum Himmel auf Erden wird?Eller Jakob vertreibt den Regen

In den Himmel jedenfalls blickte kurz vor dem offiziellen Start der "Säubrennerzeitrechnung" einer, der schon unzählige Kirmestage erlebt hat: Eller Jakob, Wittlicher Original, wollte wohl die Regenwolken ausladen: "Dat muss ja jetzt wirklich nicht sein!", kommentierte er auf dem Marktplatz, als es am Nachmittag regnete.

Flüssiges gibt es traditionell in veredelter Form ja reichlich an den Weinständen, und dessen Genuss wollte nicht nur er sich nicht verwässern lassen. Eller Jakobs Warnung an den Himmel wirkte jedenfalls.

Als der Vollmond aufstieg, mit dem schimmernden Riesenrad nur der Kran von St. Markus optisch konkurrierte und die Stadtmauer sich plötzlich auf der Schääl Saidt der Lieser auftürmte, katapultierten Mark erschütternde Kanonenschläge der Neuerburger Böllerschützen das Volk ins Mittelalter - ohne dass das Schießpulver nass wurde, aber nicht ohne die übliche Verzögerung: Wo blieb der Schluss-Kawumm von Kanonier Herbert? War er etwa eingeschlafen?

Bevor es dann doch über den Köpfen der über tausend Zuschauer des sagenhaften Schauspiels krachte, meinte einer treffend: "Gleich rummst er wieder hinterher, wenn keine Sau damit rechnet."

Alsdann nahm die Geschichte ihren Lauf. Mit im Publikum war der Berliner Filmemacher Sebastian Panneck. "Chic dieses Baustellenband, dass die da haben", kommentierte er zu Spielbeginn die provisorische Stadttorverriegelung, lang bevor die berühmte Rübe als Riegel herhalten musste. Alsdann kommentierten spitzzüngig Dort und Stecha Matthes die Lage. Um die Feinde von den Stadttoren abzuhalten, müsse man es wie mit "der link Fontän" aus dem Saarland halten, dem Ehrenberger vor der Stadtmauer einfach ausrichten, er würde in Wittlich nicht begrüßt, dann bliebe er ganz von alleine daheim.

"Kräuterlady trifft Pichtermännchen"

Das half so wenig als Abschreckung gegen Plünderung wie die Erfindung des Säubrenner-Stägkens der drei Metzgermeister, kein Wunder wenn sogar das Pichtermännchen vor Unheil gewarnt hatte. Wie immer nahm der Nachtwächter statt des Tor-Riegels eine Rübe, die Sau fraß sie auf, die Feinde überrannten stolz fechtend die Stadt.

Fast allerdings hätte ein anders Tier als das gefräßige "Wudzji" Geschichte geschrieben: Das Pferd des Ritters von Ehrenberg wollte doch glatt zur Schlussszene wieder Reißaus nehmen.

Übrigens war spätestens jetzt zur turbulenten Stadteroberung auch der Mann aus Berlin begeistert: "Was für tolle Kostüme, und wie viele da mitmachen! Ist ja unglaublich, am Schluss ist ja das halbe Dorf auf der Bühne!" Das mit dem Dorf werden die Säubrenner dem Hauptstädter wohl verzeihen, immerhin hatte er auch eine gute Idee: "Es könnte noch eine Nebenhandlung geben, wo die Kräuterlady das Pichtermännchen trifft. Wie sieht das Pichtermännchen überhaupt aus? Das ist doch auch eine tolle Sagenfigur?" Na, wenn der erst mal die legendäre Bibpaile von Eller Jakob kennen lernen würde!

Aber Filmemacher hin oder her, neue Nebenhandlungen gab es ja auch in diesem Jahr schon. Bürgermeister Bußmer reichte zum Belagerungstrunk ein Stück Säubrennerstägken, nicht ohne den Feinden mit auf den Weg zu geben: "Meidet die Neustraße mit Pferden und schweren Wagen, mit Fußtruppen könnt ihr ungestört passieren."

Und dann zog im Fackelschein ein riesiger Zug auf den Markt. Dort wartete unter anderem ein Stecha- Matthes-Fan-Club, der dessen "Schweine-Lied" so lang zum Besten gab, bis der legendäre Sauhirt mit seinem Ästchen vorbeizog und freundlich wedelte. Mit einem Finale auf der Marktbühne wurde die Säubrennerkirmes eröffnet, der Markt war brechend voll und zu den Klängen des Wittlicher Blasorchesters prosteten sich "milliuuunen Leut" auf schöne Kirmestage zu.

Mehr zur Säubrennerkirmes finden Sie auf den SEITEN 10/22

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