Auf dem letzten Weg

OBERKLEINICH. Eine WG verbindet man mit Studenten, Partys und lauter Musik. Etwas leiser – aber nicht minder lebendig – geht es im Landhaus Ebenhausen in Oberkleinich zu. Dort befindet sich die erste Alten-WG für Demenzkranke in Rheinland-Pfalz.

"Hier wohnt der Chef". Ein Schild an der Zimmertür macht die Verhältnisse in der Oberkleinicher Alten-Wohngemeinschaft klar. Ernst Krempel ist für alle nur der "Chef". Sowohl bei seinen Mitbewohnern als auch bei den Pflegerinnen. In dieser Rolle fühlt sich der 80-Jährige, der früher einen eigenen Betrieb hatte, sichtlich wohl. An diesem Tag ist er nicht so gut drauf: Ihn quälen Bauchschmerzen. Daher hat er sich in sein Zimmer zurückgezogen und es sich in seinem Sessel gemütlich gemacht. Über den Bildschirm flimmern attraktive, junge Damen, die "Gilmore Girls". Wenn der "Chef" Frauen sieht, dann ist er voll in seinem Element. Weibliche Wesen hat er jeden Tag so einige um sich herum. Von den insgesamt sechs WG-Bewohnern sind vier Frauen. Und auch das Pflegepersonal besteht ausschließlich aus Frauen. In eine hat sich Krempel sogar mal unsterblich verliebt. Die Idee kam beim Fachsimpeln

Dass er in der ersten Alten-WG für Demenzkranke in Rheinland-Pfalz wohnt, weiß der "Chef" nicht. Auf die Frage, wie lange er schon im Landhaus Ebenhausen lebt, überlegt er kurz und antwortet: "Ich würde mal sagen, so eine Stunde." Tatsächlich wohnt er aber schon knapp ein Jahr in seinem neuen Zuhause in Oberkleinich. Die Idee, eine Senioren-WG auf dem Hunsrück zu gründen, hatte Eva Hoffmann. Die gelernte Krankenschwester betreibt in Monzelfeld seit 2002 einen mobilen Pflegedienst. Als sie im Sommer vergangenen Jahres Besuch von ihrer Freundin, ebenfalls Krankenschwester, aus Schleswig-Holstein bekam, fachsimpelten die Frauen. Hoffmanns Freundin betreut seit einigen Jahren eine Alten-WG für Wachkoma-Patienten. Da kam Eva Hoffmann die Idee: So etwas wäre doch auch hier machbar. Als sie dann vermehrt von pflegenden Angehörigen angesprochen wurde - "Was sollen wir nur mit unserem Opa machen? Zu Hause schaffen wir das nicht mehr, aber in ein Altenheim wollen wir ihn auch nicht geben" - machte sich Eva Hoffmann auf die Suche nach einem geeigneten Haus für die Alten-WG. In Oberkleinich wurde sie fündig. Aus der früheren Arztpraxis im Landhaus Ebenhausen wurde die erste Alten-WG für Demenzkranke in Rheinland-Pfalz. Zu den Grundsätzen der in dieser Region noch recht unbekannten Lebensform gehört es, die WG-Bewohner - sofern sie dazu in der Lage sind - bei den täglichen Pflichten einzuspannen. Den Tisch decken, die Einkäufe wegräumen oder Kartoffeln schälen - die Senioren sollen das Gefühl bekommen, gebraucht zu werden. Im Gegensatz zu einem Seniorenheim richtet sich der Tagesablauf ganz individuell nach den Bewohnern. "Wenn jemand morgens ausschlafen möchte, dann darf er ausschlafen. Und wer abends mal ein Bier trinken will, der bekommt sein Bier. Wir lassen den Leuten ihre Freiheit", erläutert Eva Hoffmann das Konzept der Betreuung. Auch den Essensplan bestimmen die Bewohner selbst. "Da kann es dann schon mal zu Streitereien untereinander kommen, aber die sind auch schnell wieder verflogen. Hier geht's zu wie im normalen Leben. Mal lieben sie sich, und mal hassen sie sich", erzählt die gelernte Krankenschwester. Auch wenn es allen sechs Bewohnern in ihrer neuen Wohngemeinschaft gut gefällt, so ist ihnen der Wegzug von ihrem Zuhause sehr schwer gefallen. "Da spielen sich teilweise dramatische Szenen ab", hat Eva Hoffmann erlebt. "In solchen Momenten wird ihnen ihre Sterblichkeit gezeigt. Die Bewohner wissen genau, dass dies ihr letzter Weg sein könnte."

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