Aufräumen und Begutachten im Akkord

Mülheim/Veldenz/Bernkastel-Kues/Kröv · Ausnahmezustand an der Mosel nach dem Hagelunwetter: Die Bewohner kämpfen mit nassen Häusern und Gebäudeversicherern, Autoversicherer begutachten Wagen vor Ort in Zelten, und die Dachdecker sind ausgebucht.

Mülheim/Veldenz/Bernkastel-Kues/Kröv. Zerstörte Weinberge, kaputte Häuser, zerbeulte Autos - das Hagelunwetter vor mehr als einer Woche hat in Veldenz, Mülheim, Andel, Kinheim und Kröv folgenschwer gewütet.Kämpfende Menschen: Am schlimmsten vom Unwetter betroffen ist Veldenz mit seinen 900 Einwohnern. 300 Hausdächer sind dort kaputt, an die zehn Häuser sind nicht mehr bewohnbar. Ortsbürgermeister Norbert Sproß sagt: "Die Leute krempeln die Ärmel hoch. Sie wollen, dass alles so schnell wie möglich wieder in Schuss ist." Den Fremdenverkehrsort mit knapp 500 Übernachtungsmöglichkeiten hat das Unwetter voll in der Hauptsaison getroffen. Die großen Betriebe hätten alle weiter geöffnet, nur einige kleinere seien vorübergehend geschlossen oder müssten die Bettenzahl einschränken. Zimmervermieterin Ursula Platz, die derzeit keine Gäste beherbergen kann, sagt: "Wir sind alle fix und fertig." Die Trockengeräte liefen, die Verhandlungen mit der Versicherung seien kompliziert. Es dauere zu lange, bis das provisorisch abgedichtete Dach repariert werden könne. Günter Körber wird deutlicher: "Wir sind alle genervt von dem Kampf mit den Gebäudeversicherern."Autoversicherer in Zelten: Auf den 2500 Quadratmetern des Autohauses Ritter in Mülheim haben sich 22 Gutachter von etwa 15 Versicherungen eingerichtet - teilweise unter Zelten, teilweise in den Räumen des Autohauses. Dutzende Autos stehen auf dem Gelände, die meisten haben Dellen im Blech, bei vielen sind die Scheiben zersplittert. Mittendrin läuft Diana Ritter von einem Gutachter zum nächsten. "Es ist wahnsinnig viel los hier, so etwas habe ich noch nicht erlebt", sagt die junge Frau. Das Autohaus hat sich bereiterklärt, ein sogenanntes Hagelzentrum für die gesamte Gegend zu bilden. An Ort und Stelle werden die Fahrzeuge begutachtet und - falls gewünscht - von einer Fachfirma repariert. "Es wird noch Wochen dauern, bis wir alle Fahrzeuge versorgt haben", sagt Ritter. In den Räumen und Zelten betrachten die Gutachter jede Delle, geben sie in ihren Computer ein und berechnen so den Gesamtschaden. 40 Minuten nehmen sie sich für jedes Fahrzeug Zeit, jeder Autobesitzer erhält einen eigenen Termin. In einem Zelt steht Anke Nier aus Veldenz neben ihrem BMW-Cabriolet. Das Dach ist zerfetzt, Beulen bedecken das Auto: Totalschaden. Nier seufzt. "Es war mein Traumauto", sagt sie. So wie ihr geht es vielen Besitzern. Rolf Douteil, der die Autos repariert, sagt: "Die Schäden reichen von 500 Euro bis mehr als 10 000 Euro pro Wagen."Am Ortseingang Kröv hat die Allianz-Versicherung ein Zelt aufgebaut. Fünf Sachverständige untersuchen darin täglich etwa 70 Autos. Außerhalb des Zeltes warten die Besitzer auf ihren Termin, trinken Kaffee, essen einen Snack. Der Andrang hält sich augenscheinlich in Grenzen. "Das liegt daran, dass wir die Besitzer anrufen und einen Termin ausmachen", sagt Dieter Brötz. "Sonst gäbe es hier ein Chaos." Die Schäden an den Autos seien beträchtlich. "Gut die Hälfte der Fahrzeuge haben einen Totalschaden." Das Zelt wird voraussichtlich bis Ende kommender Woche stehenbleiben.Dachdeckerengpass: Die Dachdecker sind miT der Arbeit durch das Hagelunwetter überfordert. Laut Madleine Oster, Tochter von Innungsobermeister Franz-Josef Oster, haben viele Firmen in den ersten Tagen nach dem Unwetter Sonderschichten eingelegt. Auch wegen des Arbeitsschutzes sei dies nicht weiter möglich. Nun sei Unterstützung von überallher unterwegs. Der eigene Betrieb mit 25 Mitarbeitern werde von hessischen Kollegen verstärkt. Die Grundschule Veldenz wird laut VG-Verwaltung von einem Unternehmen aus dem Raum Cochem repariert. Die Dächer werden derzeit nur provisorisch dicht gemacht, neu eingedeckt wird später.Hilfen für Winzer: Einen Rettungsfonds für vom Hagel betroffene Winzer wird es nicht geben. Das hatte ADD-Präsident Mertes bei seinem Besuch vor Ort an der Mittelmosel bereits deutlich klargemacht. "Hagel ist ein versicherbares Ereignis", sagt Franz Froessel vom Landesministerium für Landwirtschaft. Das Land Rheinland-Pfalz biete aber seit vergangenem Jahr Winzern eine finanzielle Unterstützung für Hagelversicherungen an - 75 Euro pro Hektar mit Rebstöcken kultivierte Fläche. Zum Tragen kommen dafür EU-Mittel. Etwa die Hälfte der Fläche - circa 30 000 Hektar Weinberge an der Mosel - sind seitdem versichert. Winzer könnten zinslose Liquiditätskredite bei der landwirtschaftlichen Rentenbank für Wiederaufbau in den Wingerten bekommen, sagt Froes sel. Zudem bestehe die Möglichkeit, steuerliche Erleichterung zu beantragen, beispielsweise Erlass der Grundsteuer oder Verzicht der Stundungszinsen.Große Solidarität: Direkt nach dem Unwetter haben zahlreiche Helfer die betroffenen Bürger unterstützt. Die Malteser waren mit 50 Mitarbeitern im Einsatz, das Rote Kreuz mit 70, die Feuerwehr mit 250. Auch das Technische Hilfswerk hat mitgeholfen.Videos und Fotostrecken:volksfreund.deInfoveranstaltung der Kreisverwaltung: Besitzer der vom Hagelunwetter beschädigten Häuser haben am Dienstag, 13. September, um 19 Uhr in der Grafschafthalle in Mülheim an der Mosel die Möglichkeit, sich über die energetische Sanierung der Hausschäden, die Versicherungsmodalitäten sowie die Fördermöglichkeiten zu informieren. Die Kreisverwaltung Bernkastel-Wittlich hat diese Veranstaltung mit der Energieagentur Region Trier und dem Förderverein der Energieagentur Trier organisiert. Bei der Komplettsanierung eines daches beispielsweise müssen Energiepsparauflagen eingehalten werden. red

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