Bargeld statt Fischöl

ENKIRCH. (red) Nach der erfolgreichen Serie, in der Zeitzeugen aus der Region von den letzten Kriegsmonaten berichteten, hat der Trierische Volksfreund eine Neuauflage gestartet. Im Mittelpunkt stehen die Wirtschaftswunder-Jahre. Heute ein Bericht von Margarethe Krieger (70), Malerin aus Enkirch.

Fast vierzig Jahre ist es her, dass ich an die Mosel zog. Damals war das Haus der Schwiegereltern hier neu gebaut worden, und die Hausherrin starb unerwartet früh. So zog ich mit meinem Mann und unserer Tochter von der Großstadt Hamburg in das alte Weindorf Enkirch. Ich fühlte mich sehr wohl hier, doch vermisste ich die Ostsee, an der ich zehn wichtige Jahre meiner Kindheit verbrachte. Dort erlebte ich das Kriegsende und den Wirtschaftsaufschwung. Für meine Familie traurige Jahre, denn die Männer waren alle tot. So haben die Frauen versucht, zu erhalten, was noch vorhanden war. Unsere persönliche Habe war in Hamburg 1943 verbrannt. Meine Großeltern hatten einen großen Teil ihres Vermögens verloren. Alles irgendwie Wertvolle wurde verkauft, und wir vermieteten unsere Räume, die nicht von Ostflüchtlingen belegt waren. Am Tag X, das weiß ich noch wie heute, verschwanden alle Gäste aus Timmendorfer Strand, um ihre ersten vierzig D-Mark in Empfang zu nehmen. Eigenartigerweise konnte meine Mutter einen Schafpelzmantel von mir für über hundert Mark an eine Zuckerfabrikantengattin verkaufen. Es waren wohl auch damals nicht alle gleichgestellt. Von nun an wurde die Miete der Gäste nicht mehr in Naturalien wie Fischöl, Zucker oder Mehl bezahlt. Es gab Bares. Und für dieses Geld konnten wir sogar etwas in regulären Geschäften kaufen. Eine Rente gab es zunächst noch nicht. Dann bekam ich 40 D-Mark Waisenrente und meine Mutter 30 Mark Witwenrente monatlich. Davon konnten wir nicht leben. Es wurde weiter getauscht. Unser großer Garten hatte Unmengen roter Johannisbeeren. Waschwannenweise ernteten wir sie zusammen mit den Flüchtlingsfamilien. Ein Fünflitereimer gab ein Schwarzbrot. Im Winter 1949/50 war die Lübecker-Bucht zugefroren. "Da sind Enten eingefroren" hörte meine Mutter. Sie zog sich warm an mit einem Pelzmantel und langschäftigen Militärstiefeln. Das wurde ihr fast zum Verhängnis, denn sie trat in eine der tückischen Spalten in dem bewegten Eis und konnte sich nur mühsam am Rand stützen, bis ein Mann mit einer langen Stange kam und sie herauszog. Ich stand dabei und schrie um unser Leben. Schon früh machte ich mit meiner jetzigen Moselheimat Bekanntschaft durch meine erste und einzige Klassenfahrt. 1952 ging es mit dem Bus von der Bugenhagen Oberschule, jetzt Ostseegymnasium Timmendorfer Strand, an Rhein und Mosel. Es war ein heißer Sommer. Von der Ostsee her waren wir frischen Wind gewohnt, doch unser Bus war nicht klimatisiert, und auch die Mittelplätze waren besetzt von Schülern der beiden zehnten Klassen. An jedem Wasserhahn, der an der Straße zu sehen war, hielten wir, um unsere Glasflaschen zu füllen. Auf Burg Stahleck badete ich in der Zisterne und zerschnitt mir die Fußsohlen an den Schiefersteinen. Wir litten sehr unter der ungewohnten Hitze ohne die geliebte Ostsee. Von den Weinbergen war ich auch enttäuscht. Ich hatte mir Laubengänge mit Schatten vorgestellt, zwischen denen die Elfen tanzen. Der Wein, ja der Wein war uns verboten, bis unser Klassenlehrer heimlich mit uns eine Straußwirtschaft besuchte. Wir konnten das nicht lange verheimlichen. Ob unserer großen Lustigkeit fiel es der Parallelklasse sofort auf, dass da etwa nicht stimmte. Die Folge: Sie ging am nächsten Tag in eine Straußwirtschaft. Wir kamen auch in die große Stadt Frankfurt und spuckten auf der vornehmen Straße "Zeil" Kirschkerne in die Gegend und kamen uns dabei sehr verrucht vor. Leisten konnten wir uns die Reise nur durch Spenden. Unser Lebensmittelhändler spendete Margarine und Marmelade für das Frühstücksbrot. Beides schwabbelte - sehr flüssig geworden in der Hitze - in Eimern im unteren Teil des Busses neben unseren Koffern. Rucksäcke hatten wir keine. Das war bis dahin die weiteste Reise meines Lebens. Und nun habe ich es ziemlich weit in das Land meiner Jugend und meines Wirtschaftsaufschwungs. Margarethe Krieger (70) Malerin aus Enkirch.

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