Berlin - Tag und Nacht

Berlin · Der eine hat eine kölsche Kneipe für Politiker, der andere ein Café für die digitale Elite: Friedel Drautzburg und Ansgar Oberholz zählen zu den bekanntesten Gastronomen Berlins. Ein Besuch bei zwei ehemaligen Wittlichern.

Berlin. Es gibt Menschen, die sind einfach beeindruckend. Friedel Drautzburg ist so einer. Man sieht ihn, 74 Jahre alt, riesiger Schnauzbart, dröhnende Stimme, und man weiß: Dem kann man nichts vormachen. Der hat schon alles gesehen von der Welt.
Es ist ein Montagabend in der Ständigen Vertretung, einer Kneipe in Berlin-Mitte. Menschen lachen, Besteck klappert, an den Wänden hängen Schwarzweißfotos aus der alten Bundesrepublik. Friedel Drautzburg sitzt im Raucherraum und erzählt von den Politikern, die schon hier waren: Angela Merkel, Sigmar Gabriel, Oskar Lafontaine, Guido Westerwelle. Um nur ein paar zu nennen.
Mit Grass durch Deutschland


Die Ständige Vertretung, von vielen nur StäV genannt, liegt im Regierungsviertel. Den Reichstag kann man bequem zu Fuß erreichen, das Berliner ARD-Studio ist gleich um die Ecke. Abgeordnete und Journalisten kommen nach Feierabend hierher und trinken Kölsch. Drautzburg ist dadurch selbst berühmt geworden.
Geboren wurde er in Wittlich, doch da hielt es ihn nicht lange: "Bei mir war es wie bei vielen in meiner Generation. Wir wollten nur weg von Zuhause." Nach dem Abitur verlässt er die Eifel, arbeitet als Filmkomparse in Hamburg, studiert Jura in Bonn. Er lernt Günter Grass kennen, ein halbes Jahr fahren die beiden in einem VW-Bus durch Deutschland und machen Wahlkampf für Willy Brandt.
1970 eröffnet Drautzburg in Bonn seine erste Kneipe, die Schumann-Klause, sie wird ein Treffpunkt für linke Studenten, Journalisten und Politiker. Ulrich Wickert, der Nachrichtensprecher, soll dort mit heruntergelassenen Hosen auf dem Tresen getanzt haben.
Dann, 1991, wird alles anders: Deutschland ist vereint, der Bundestag beschließt mit knapper Mehrheit, nach Berlin umzuziehen. Drautzburgs Stammgäste wandern ab. Und Drautzburg? Wandert mit.
Er eröffnet mit seinem Kollegen Harald Grunert die StäV - eine Kneipe mit rheinischem Bier und Essen für die "Vertriebenen aus dem Rheinland".
Kölsch und Karneval in Berlin


Ab und zu fährt Drautzburg in seine erste Heimat, in Plein hat er ein Haus. Vor zwei Jahren schenkte er der Stadt Wittlich ein Stück der Berliner Mauer, das an der Zufahrt zum Rommelsbach-Parkplatz aufgestellt wurde.
"Mit Wittlich verbinde ich meine Schulzeit", sagt er. "Die Taufe, die Kommunion, die Pubertät. Meine erste Schulliebe. Das ist schon sehr prägend." Er sitzt jetzt nicht mehr, er steht, wippt unruhig auf und ab. Im Fernsehen kommt gleich eine Sendung über Peer Steinbrück, die darf er nicht verpassen.
Von der StäV braucht man zu Fuß nur 20 Minuten zum Café St. Oberholz. Draußen, am Rosenthaler Platz, regnet es, drinnen sitzt an Holztischen die Generation Google: Junge Menschen mit Laptops, auf denen angebissene Äpfel leuchten, sie haben Kopfhörer in den Ohren und schlürfen Latte Macchiato. Hier in Berlin nennt man sie die digitale Bohème: Kreative, die nichts von Festanstellung halten und ihr Geld am Computer verdienen. Oder es zumindest versuchen.
Mittendrin sitzt Ansgar Oberholz, 40 Jahre alt, ehemals Wittlicher, heute Berliner und Wirt der Kreativen. Oberholz stammt aus Stolberg bei Aachen. "Ich gelte aber wohl trotzdem als Säubrenner", sagt er und lacht. Mit drei Jahren kam er nach Wittlich, mit 20 ging er wieder - nach Berlin, zum Studieren. "Berlin hatte eine Anziehungskraft. Das war eine Goldgräberstimmung damals." Er studierte sich quer durch die Fakultäten, Physik, Mathe, Forensik. Versuchte sich als Musiker, Werber, Verleger. Erfolglos. Im Juni 2005 eröffnete er das Café am Rosenthaler Platz.
Grenzen verschwinden


Das St. Oberholz ist ein Büro in einer Zeit, in der die Grenzen zwischen Beruf und Privatleben verschwinden. Viele Gäste sind Freiberufler, Freelancer, wie man heute sagt: Sie kommen mit ihrem Computer, wählen sich ins Internet ein und arbeiten.
"Es ist cool, in einem Café zu arbeiten", sagt Ansgar Oberholz. "Früher war das anders. Das hier war das erste Café, in dem man einen Laptop aufklappen konnte, ohne schief angesehen zu werden." Die Menschen kommen, weil es cool ist, hier zu sein. Weil sie gesehen werden wollen. Manche schaffen im St. Oberholz den Durchbruch; die zwei Schweden zum Beispiel, die vor einigen Jahren hier saßen: Sie arbeiteten an Soundcloud, einer Internetplattform für Musiker, die heute mehr als zehn Millionen Mitglieder hat. Andere kommen mit großen Ideen hierher und scheitern. Auch das gehört zum Mythos des St. Oberholz.
Symbol für Freiheit


Und so sitzt man an einem der Tische und fragt sich, was die Menschen um einen herum wohl in ihre Computer tippen: Der Typ, der sich ständig die Haare rauft. Die Amerikanerin, die mit wem auch immer telefoniert. Das Mädchen mit den riesigen Kopfhörern. Ist einer von ihnen der neue Bill Gates, die nächste Joanne K. Rowling?
Man weiß es nicht. Man weiß nur: Das St. Oberholz ist ein Symbol für Freiheit, für Kreativität. Ein bisschen vielleicht auch für Eitelkeit.
Friedel Drautzburg und Ansgar Oberholz sind mit dem, was sie machen, berühmt geworden. Sie stehen in allen Berlin-Reiseführern, Spiegel, Zeit und Frankfurter Rundschau haben über sie berichtet.
Nur wenige Straßen trennen die Wittlicher voneinander. Begegnet sind sie sich noch nie.

Extra

Friedel Drautzburg, geboren 1938 in Wittlich, verbrachte einen Großteil seines Lebens in Bonn. Dort hatte er mehrere Gaststätten, bevor er 1997 die "Ständige Vertretung" eröffnete. Der Name ist eine Anspielung auf die westdeutsche Botschaft in der DDR, die als "ständige Vertretung" bezeichnet wurde. gubExtra

Ansgar Oberholz, geboren 1972 in Stolberg, ist in Wittlich aufgewachsen und lebt seit 1993 in Berlin. Die Idee zum Café St. Oberholz kam ihm während einer Zugfahrt nach Wittlich. Über seine Erfahrungen als Wirt hat er dieses Jahr einen Roman veröffentlicht: "Für hier oder zum Mitnehmen?" gub

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