Bleistifte, Genehmigungen und Akrobaten

KRÖV. Bleistifte werden mit Notenständern beschwert, Akrobaten schwingen sich durch die Luft und auch wenn niemand schläft, sind alle Betten belegt: Beim Kröver Mitternachtslauf wird die Nacht zum Tag.

Anfang der 80er Jahre flatterte dem TV Kröv eine Einladung zum Stockholmer Trachtenfest ins Haus. Die Mannen um Manfred Engels wurden aber nicht nur Zeuge eines bereits aus der Heimat bekannten Umzugs, sondern wohnten - mehr zufällig als gewollt - auch einem nächtlichen Marathonlauf bei. Die Kröver waren beeindruckt von der Atmosphäre. "Das erste, was ich auf der Busfahrt zurück nach Hause zu meiner Frau gesagt habe, war: So was machen wir auch", erinnert sich Engels.Nach lautem Knall kein Zurück mehr

Gesagt, getan. 1985 hüpften 257 nervöse Läufer an der Startlinie von einem Bein aufs andere, wollten losrennen, als die Polizei nach der Genehmigung zur Sperrung der Straße fragte. Die lag laut Engels in irgendeiner Schublade, aber eben nicht am Ort des Geschehens. Was tun? Die Diskussion mit den Ordnungshütern war noch im Gange, als ein lauter Knall die Läufermasse unaufhaltbar in Bewegung setzte. Es gab kein Zurück mehr. Der Mitternachtslauf war geboren. Jahr für Jahr wird seitdem am Pfingstsamstag in Kröv die Nacht zum Tag gemacht. Aus 257 wurden 1986 793 Läufer, die durch das Zuschauerspalier und die mit roten Kerzen illuminierten Gassen rannten. Einer von ihnen war Herbert Steffny. Der gebürtige Trierer siegte auf dem 9,4 Kilometer langen Kurs in bis heute unübertroffenen 26:38 Minuten. Wenige Wochen später gewann Steffny bei den Europameisterschaften die Bronzemedaille im Marathonlauf. Seit der Premiere werden die Mitternachtslaufsieger in einer von Walter Steuer aus zwei Fuderfässern gebauten Waage in Wein aufgewogen. Nun erkannte aber bereits der zweimalige Olympiateilnehmer Manfred Steffny (der ältere Bruder von Herbert): "Vorne laufen die Bleistifte, hinten die Radiergummis." Wie sollen die besten Mitternachtsläufer an eine angemessene Menge "Kröver Nacktarsch" kommen, wenn sie nichts auf die Waage bringen? Die Lösung fanden die Kröver direkt bei der ersten Mitternachtslaufgewinnerin Birgit Lennartz. Die zeitweilige Inhaberin des Weltrekords über 100 Kilometer tauchte überraschend auf und trug sich prompt in die Siegerliste ein. Schon nach wenigen Flaschen "Nacktarsch" pendelte die Waage mit dem Persönchen im Gleichgewicht. "Wir haben Notenständer, Aktentaschen und was uns sonst noch in die Hände fiel in die Waagschale gelegt", erinnert sich Ludwig Beißel, einer der Mitinitiatoren des Mitternachtslaufs, an die Methode, wie man seitdem den "Bleistiften" zu mehr Rebensaft verhilft. Wichtiger als die Spitzenläufer sind in Kröv die knapp 2000 Breitensportler, die Jahr für Jahr aus ganz Deutschland, dem benachbarten Ausland und via Hunsrück-Airport Hahn auch aus England kommen. "Bei der Anmeldung höre ich immer, dass das ganze Programm wichtig ist. Die laufen gerne, feiern gerne und genießen unsere schöne Gegend", erklärt Engels, was die Leute an Pfingsten nach Kröv treibt. "Kröv ist ausgebucht", berichtet Doris Hermes von der Touristinformation. "Für Kröv ist der Mitternachtslauf ein Wirtschaftsfaktor", bestätigt Verbandsbürgermeister Otto Maria Bastgen, der dieses Jahr wieder Schirmherr ist. Zum Rahmenprogramm gehört laut Engels neben dem mitternächtlichen Feuerwerk, verschiedenen Kapellen und Bands sowie der Kröver Prinzengarde vor allem die Verpflichtung namhafter Künstler. Sohn Christoph lotst in diesem Jahr den Laternenmast-Akrobaten Noah nach Kröv. Gute Stimmung ist wieder programmiert. "Wenn hier Samstagnacht gelaufen wird, ist das ein Volksfest", bringt Bastgen den Charakter der Veranstalter auf den Punkt.

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