Brote, Rabbiner und Kinderstreiche

Thalfang · Die Zeit des Nationalsozialismus ist lange her - doch nach wie vor gibt es Zeitzeugen, die sich daran erinnern, wie es damals den jüdischen Mitbewohnern in Thalfang erging. Zwei Männer, heute 80 und 88 Jahre alt, die damals dort lebten, erzählen.

Thalfang. Heutige Zeitzeugen waren meist noch Kinder, als die Nationalsozialisten begannen, jüdische Mitbürger zu verfolgen und zu töten. Doch die Schrecken der damaligen Zeit sind auch ins Gedächtnis der nicht-jüdischen Mitmenschen eingebrannt. Ein direkter Nachbar von Hans-Werner Petri hat damals überlebt.
Lion Simon Schwarz sei 1937 gerade noch rechtzeitig ausgewandert. Wenn die jüdische Gemeinde (siehe Extra) ihr Passah-Fest feierte, habe Schwarz den Kindern der Nachbarn immer Matzen, die ungesäuerten Brote, gegeben. "Lasst euch von eurer Mutter Butter draufschmieren, das schmeckt gut", habe der dann gesagt.
Auch ältere jüdische Damen in der Nachbarschaft hat der 80-Jährige noch vor Augen: "Sie gingen am Stock - und sind alle umgebracht worden."
Als im Zuge der Novemberpogrome 1938 die 1822 gebaute Synagoge geschändet wurde, war er zwar erst sieben Jahr alt. Doch er erinnert sich noch an "das Geschrei und das Zersplittern des Porzellans" und sieht auch noch die auf der Straße liegenden alten Bibeln in hebräischer Schrift vor sich.
Die Täter seien SA-Männer von außerhalb gewesen. Sie seien mit zwei Lastwagen nach Thalfang gekommen und hätten die Synagoge nur deshalb nicht in Brand gesetzt, weil das Risiko für die Nachbarhäuser zu groß gewesen sei. "Die Erwachsenen im Dorf haben sich daran nicht beteiligt", ist sich Hans-Werner Petri sicher. Sein Vater habe sich damals furchtbar aufgeregt und seinen Kindern strikt verboten, auch nur einen Fuß vor die Haustür zu setzen. Als späterer Kriegsheimkehrer, der schon im Jahr 1952 starb, habe er sich Vorwürfe gemacht, sich damals nicht protestierend auf die Straße gestellt zu haben.
Wie Petri erinnert sich auch Willi Koch (88) an jüdische Nachbarn, Freunde seines Großvaters. Und an die Synagoge, in die damals alle Juden einmal die Wochen gegangen seien. "In dem Haus waren zwei ziemlich große Fenster und ein Stuhl, auf den sich keiner setzen durfte. "Der Rabbiner, ein unverheirateter Mann, der mit Kindern gut umgehen konnte, sei immer schon früher dorthin gegangen. "Die haben uns nichts getan, und wir haben denen nichts getan", betont Koch.
Allerdings habe er den Nachbarn einmal ungewollt einen Streich gespielt. Zwei junge Männer hatten ihn mit einem Stück frisch geschlachteten Schweinefleischs zu den Nachbarn geschickt. "Das legst du denen auf den Tisch", hätten sie gesagt. Als Kind habe er nicht gewusst, dass Juden kein Schweinefleisch essen dürften. Als er seinem Großvater davon erzählte, sei dieser schnell ins Nachbarhaus und habe das Fleisch unbemerkt verschwinden lassen. Mit zehn Jahren zog Koch nach Trier, wo sein Vater ab Mitte der 1930er Jahre arbeitete. Den Kontakt zum nach Amerika ausgewanderten Rabbiner hat er nach dem Krieg nicht abreißen lassen.
Extra

Jüdische Gemeinde Thalfang: Der 300 Jahre alte jüdische Friedhof zeugt vom friedlichen Miteinander von Juden und Christen in Thalfang. 1843 zählte die jüdische Gemeinde 113 Personen, 21 Prozent der Einwohner. Zu Beginn des Naziregimes lebten in 27 Häusern jüdische Mitbürger, von denen viele rechtzeitig flohen. An 21 Opfer, die ermordet wurden oder als verschollen gelten, erinnern seit 2011 Stolpersteine. An Publikationen gibt es Elmar Ittenbachs neues Buch "Jüdisches Leben in Thalfang - Geschichte und Schicksale" und die "Beiträge zur Geschichte der Juden in Thalfang", 1995, von Pfarrer Winfrid Krause und Hilde Weirich. urs

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