Büchenbeuren platzte aus allen Nähten

Die Auswirkungen des Mauerfalls vor knapp 20 Jahren reichten bis tief in den Hunsrück. Rund 6000 Aussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion fanden alleine in der VG Kirchberg eine neue Heimat - viele davon in Büchenbeuren.

Büchenbeuren. 1989 stand Büchenbeuren vor einem dramatischen demografischen Umbruch. Nach dem Fall der Mauer verdoppelte sich die Einwohnerzahl innerhalb weniger Jahre von 950 auf knapp 1800 - eine Bevölkerungsexplosion ohne Beispiel. "Die dachten, es handelt sich um einen Fehler im System", erinnert sich der damalige Ortsbürgermeister Erich Bremm an einen Anruf aus dem Statistischen Landesamt in Bad Ems. Doch die Daten stimmten. Denn als die Amerikaner gingen, kamen die Aus- und Übersiedler. Zwischen 1988 und 1992 schwoll die Zahl der Neubürger pro Jahr von 43 auf 588 an. In der ersten Welle zogen vornehmlich DDR-Bürger in die frei gewordenen Wohnungen der US-Soldaten. Etwa 600 Appartments hatten die Büchenbeurener privat vermietet, schätzt Bremm. Da kamen die Übersiedler gerade recht. Mit dem Übergangswohnheim der Kreuznacher Diakonie folgten ab 1991 die Russland-Deutschen. "Das war eine knüppelharte Zeit", blickt Bremm zurück. "Jedes Zimmer war vollgestopft mit Leuten." Zu Spitzenzeiten drängten sich mehr als 100 Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion in dem Gebäude. Viele sind bis heute in Büchenbeuren geblieben. Die Spannungen zwischen Neubürgern und "Eingeborenen", wie Bremm die Alteingesessenen scherzhaft nennt, wuchsen. Besonders unter Jugendlichen wurden Konflikte nicht selten mit Gewalt ausgetragen. "Ich musste mich oft dazwischenwerfen", sagt der frühere Ortschef. "Ein Mal riss ich den Leuten die Baseball-Schläger aus den Händen."

Ökonomisch heillos überfordert



Ökonomisch war die kleine Hunsrückgemeinde heillos überfordert. "Wir hielten damals mit einem Aussiedler-Anteil von 43 Prozent und den höchsten Sozialhilfekosten pro Kopf gleich zwei deutsche Rekorde", sagt Bremm. In Zahlen ausgedrückt bedeutete das: Der Gemeindeanteil an der "Stütze" explodierte von 4250 (1989) auf 160 000 Euro (1996). Die finanzielle Belastung war kaum zu stemmen. "Das war die absolute Härte", erzählt Bremm. Wenn er nach Feierabend das Bürgermeisteramt betrat, hatten sich meist schon Schlangen vor der Tür gebildet. "An vielen Abenden bin ich nicht vor Mitternacht nach Hause gekommen." Die Infrastruktur war vollends überlastet. Der Kindergarten etwa platzte aus allen Nähten. Und auch der Ansturm auf die Grundschule sprengte alle Kapazitäten. "Der Lehrer wusste oft gar nicht mehr, was er noch machen sollte", erinnert sich Bremm. Dennoch hat es Büchenbeuren irgendwie geschafft, die Schulden auf null runterzufahren. Gegen zum Teil heftige Widerstände setzte Bremm einen rigiden Sparkurs durch. Heute ist man dafür dankbar.

Auch ansonsten hat sich die Situation mittlerweile stabilisiert. Die Einwohnerzahl hat sich bei etwa 1700 eingependelt. Die Zuzüge sind zuletzt auf 132 geschrumpft. Doch gewisse Ressentiments sind geblieben. Daran konnten auch die Begegnungsfeste nichts ändern. "Man bleibt trotzdem noch unter sich", hat Bremm festgestellt. Nach wie vor hapert es bei vielen Neubürgern an der sprachlichen Kompetenz. Viele Kinder und Jugendliche haben deshalb Schwierigkeiten in der Schule und bei der Jobsuche, weiß Bremm. Im Begegnungshaus haben sie einen Anlaufpunkt gefunden.

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