Den Alltagszwängen entfliehen

Wittlich · Der ländliche Raum ist keineswegs eine Idylle wenn es um das Thema Sucht geht. Das zeigte sich jetzt bei der fünften Fachtagung "Drogenhilfe im ländlichen Raum" des Caritasverbands Mosel-Eifel-Hunsrück.

Wittlich. Referent war Dr. Martin Reker, Leitender Arzt der Abteilung für Abhängigkeitserkrankungen in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Bethel. Er sprach vor mehr als 100 Teilnehmern in der Synagoge Wittlich.
In seinem Vortrag schlug Reker den Bogen von den Zwängen der zivilisierten Gesellschaft und den häufig hieraus resultierenden Voraussetzungen für Suchtkrankheiten bis hin zu speziellen Therapiemöglichkeiten auf dem Land. Suchtmittelmissbrauch entstehe häufig aus dem Impuls heraus, den Zwängen eines durchgeplanten Alltags entfliehen zu wollen. Einerseits sei mit der modernen Gesellschaft die Idee des autonomen Individuums entstanden, andererseits sei der Mensch aber zum "Rädchen im Gefüge" geworden. "Aussteigen" sei nicht drin, sagte Reker, daher sei das "Saufen eine Antithese zur Zivilisationsgesellschaft". In der Gesellschaften fehlten häufig sinnstiftende Instanzen wie die Religion.
Gewachsene Strukturen nutzen



Seine Erfahrungen in der Sozialpsychiatrie hätten ihm gezeigt, dass der Suchtkranke vor allem für sich ein neues Ziel im Leben definieren müsse, sagte Reker. Auf dieses Ziel könne der Patient mit der Hilfe von Therapeuten oder Beratungsstellen hinarbeiten. Perspektiven für den Suchtkranken zu schaffen, ihm ein Gefühl der Wertigkeit zu vermitteln, müsse oberstes Ziel sein. Reker räumte ein, er habe sich in dieser Hinsicht den ländlichen Raum immer als eine Idylle vorgestellt, in der Suchtkranke leichter wieder in die Gesellschaft zu integrieren seien. Beispielhaft stünden dafür Projekte wie das Leben und Arbeiten Suchtkranker auf Bauernhöfen oder in anderen sozialen Gemeinschaften. Ihm sei allerdings in Gesprächen mit Therapeuten und Betreuern inzwischen klar geworden, dass es sich hier um "idyllische Inseln" handle. Diese Ansicht teilten auch die Teilnehmer der Tagung. Berater der Caritas-Suchtberatungsstellen betonten, der ländliche Raum sei keinesfalls besser gestellt als die Stadt, was Anzahl oder Häufigkeit von Suchterkrankungen angehe. Im Gegenteil: Das Land stehe für viele eher für Langeweile als für die Vorstellung eines harmonischen Zusammenlebens. Andere Teilnehmer betonten, gerade auf dem Land sei häufig der übermäßige Alkoholkonsum in Vereinen ein Problem. Reker schlug vor, die festen gemeinschaftlichen Strukturen der Gemeinden besser zur Vorbeugung gegen Suchterkrankungen zu nutzen. Beispielsweise gebe es die Möglichkeit, dass ein Verein eine Patenschaft für sozial benachteiligte und potenziell gefährdete Jugendliche oder Erwachsene übernehme.
Andere Beispiele seien das Betreute Wohnen chronisch Kranker in Familien oder auch Projekte örtlicher Handwerks- und Landwirtschaftsbetriebe, die Suchtkranken Arbeitsmöglichkeiten schafften. red

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