Deportation vor 70 Jahren: Lore und Dieter haben es nicht überlebt

Wittlich · Am 16. Oktober 1941 stiegen 119 Juden aus dem heutigen Kreis Bernkastel-Wittlich auf Befehl der Nationalsozialisten in den Zug aus Luxemburg in Richtung Osten. Das erschütternde Schicksal der Menschen schilderte Marianne Bühler am Montag in der ehemaligen Wittlicher Synagoge.

 Zeichnete fragmentarisch Schicksale nach: Marianne Bühler. TV-Foto: Sybille Schönhofen

Zeichnete fragmentarisch Schicksale nach: Marianne Bühler. TV-Foto: Sybille Schönhofen

Wittlich. Die neunjährige Lore Meyer und ihr zehnjähriger Bruder Dieter lebten mit ihren Eltern in Brauneberg, als sie am 12. Oktober eine Verfügung der Gestapo erreichte. Darin stand, dass sich Juden am 16. Oktober um 14 Uhr im Trierer Bischof-Korum-Haus in der Rindertanzstraße einzufinden hatten. "Zum Zwecke der Aussiedlung nach dem Reichsgebiet" wie es hieß. Ziel war das Getto in der polnischen Stadt Lodz, die die Nazis nach der Besetzung 1940 in Litzmannstadt umbenannt hatten.
Desolate Zustände


Lore und Dieter waren zwei von 20 000 Juden, die im Oktober nach Litzmannstadt deportiert wurden. 50 Kilo Gepäck, 100 Reichsmark und Lebensmittel für drei Tage durften sie mitnehmen. In den wenigen verbleibenden Tagen mussten Familienangehörige nach Hause geholt und Vermögenserklärungen aufgesetzt werden.
Die Theologin Marianne Bühler, ehemalige pädagogische Mitarbeiterin des Emil-Frank-Instituts und Gründungsmitglied des Arbeitskreises "jüdische Gemeinde Wittlich" zeigte beispielsweise die Aufstellung einer Frau Hirsch aus Neumagen, die vom Kopfkissen bis zu den Einmachgläsern all ihren Besitz aufgelistet hat. Mit der Moselbahn wurde sie am 16. Oktober mit ihrer Tochter von Neumagen nach Trier zum Zug gebracht, der in Luxemburg gestartet war. Juden aus Rhauen, Thalfang und Talling kamen mit Bussen. Die größte Gruppe, 30 Personen, kam aus Wittlich, der damals größten jüdischen Gemeinde in der Eifel. Acht Juden stammten aus Bernkastel.
Ihre Häuser wurden versiegelt, ihr Hab und Gut versteigert, wie der damalige Wittlicher Bürgermeister Matthias Joseph Mehs in sein Tagebuch eintrug. In Litzmannstadt erwarteten die Deportierten desolate Zustände. Die Menschen drängten sich auf engstem Raum, litten Hunger. Im Durchschnitt gab es zwei Kartoffeln und zehn Gramm Margarine pro Tag zu essen. Zwei Drittel der Wohnungen hatten nur ein Zimmer, viele Menschen mussten in Sammelunterkünften hausen. Krankheiten breiteten sich schnell aus.
Die meisten der aus der Eifel deportierten Menschen waren zwischen 50 und 70 Jahre alt. Am 18. Oktober 1941 kamen sie in Litzmannstadt an.
Elf Menschen aus dem Kreis Bernkastel-Wittlich starben bereits im ersten halben Jahr. Dann begann im Januar 1942 die Deportation nach dem 60 Kilometer entfernten Kulmhof. Marianne Bühler zeigte Schreiben, in denen Menschen aus dem Luxemburger Zug um Zurückstellung baten. Einer wies auf sein Kriegsabzeichen aus dem Ersten Weltkrieg hin. Er durfte vorerst im Getto bleiben. Es war nur ein Aufschub.
Auf dem ehemaligen Herrensitz Kulmhof wurden bis April 44 000 Menschen ermordet. Das Lager Litzmannstadt wurde 1944 aufgelöst. Nur zwei der 119 Menschen aus dem Kreis Bernkastel-Wittlich, die zum Transport Luxemburg gehörten, hatten überlebt.
Lore und Dieter aus Brauneberg hatten es nicht geschafft. Einer der knapp 50 Zuhörer an diesem Abend erinnert sich an sie. Als Kind aus dem gleichen Ort hatte er mit ihnen gespielt, einmal am Sabbat mit ihnen gegessen. "Ich bin froh, dass ich nun weiß, was mit ihnen passiert ist", sagt er. sys

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