Strafvollzug Der Moment, der alles verändert

Wittlich · Ein einziger Schlag ins Gesicht hat das Leben von Christoph Nickels von Grund auf verändert. Heute hält der 32-Jährige Vorträge an Schulen und in Strafanstalten, um auf die Folgen von Gewalt aufmerksam zu machen.

 Christoph Rickels erzählt vor Häftlingen in Wittlich von seinem Schicksal.

Christoph Rickels erzählt vor Häftlingen in Wittlich von seinem Schicksal.

Foto: TV/Nora John

„Das Reden fällt mir sauschwer“, sagt Christoph Rickels direkt zu Anfang seines Vortrags vor Insassen der Jugendstrafanstalt Wittlich. Dass er so schlecht reden kann, ist eine direkte Folge eines Schlags ins Gesicht vor einer Disko­thek in Aurich in Norddeutschland. Rickels ist im Rahmen des Projektes „Anstoß für ein neues Leben“ von der Sepp-Herberger-Stiftung eingeladen, um  über die Folgen von Gewalt zu sprechen. Und das tut er so eindrucksvoll, dass die Strafgefangenen mehr als eineinhalb Stunden lang aufmerksam zuhören.

Dieser eine Moment im Jahr 2007 hat für Christoph Rickels alles verändert. Vorher war er ein 20-jähriger sportlicher Mann, der auch gerne Musik macht. Rickels hatte Pläne für sein Leben, wollte eine Ausbildung zum Feldjäger bei der Bundeswehr beginnen. Doch aus der geplanten Abschiedsfeier vor Dienstantritt bei der Wehr wird ein Abschied aus dem gewohnten Leben. Diese Abend in einer Diskothek in Aurich, wo der Norddeutsche herkommt, verändert alles. Der Freund eines Mädchens, dem er ein Getränk ausgegeben hat, versetzt ihm vor der Diskothek einen Schlag. Rickels stürzt und fällt mit dem Gesicht auf den harten Asphalt. Er erleidet Knochenbrüche und sechsfache Hirnblutung. Erinnern kann er sich selbst daran nicht mehr.

Was folgt ist monatelanges Koma. „Ich war durchtrainiert, das hat mir nichts genützt“, sagt Rickels zu seinen Zuhörern. Doch er überlebt. Alles habe er neu lernen müssen, sagt Rickels. „Ich war schon immer so ein Kämpfer.“ Und jetzt wolle er etwas verändern.

Er appelliert an die jungen Menschen, dass Gewalt nicht cool sei. Cool zu sein bedeute, dass man sich selber treu bleibe, sagt der 32-Jährige. Es sei uncool, etwas zu tun, nur um andere zu beeindrucken. Der Täter, der ihm damals den Schlag versetzt habe, habe seine Freundin beeindrucken wollen mit schweren Folgen für Rickels. Und durch diesen einen Moment sei er heute schwerbehindert, könne keine Musik mehr machen, nicht mehr gerade laufen, keinen Ball werfen. „Es bringt doch keinem was“.

Rickels geht auch auf die Folgen ein, die die Gewalttat für den Täter hatte. Zwar wurde er nur zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt. Allerdings sei er im Zivilverfahren zur Zahlung von Schmerzensgeld verurteilt worden. „Er wird nie wieder in seinem Leben Geld haben“.

Aber auch für Rickels selbst ist die finanzielle Situation mehr als schwierig. Da bei dem Täter kein Geld zu holen ist, hofft er von dessen Haftpflichtversicherung das Geld zu bekommen. Denn das milde Gerichtsurteil sei damit begründet worden, dass der Täter ihn nicht habe so schwer verletzen wollen. Das sieht die Versicherung trotz Urteil aber anders, berichtet Rickels vom Beginn seiner Odyssee durch alle Instanzen bis zum Bundesgerichtshof, die bis heute, zwölf Jahre nach der Tat, noch nicht zum Erfolg geführt haben. Mittlerweile klagt er gegen seinen vorherigen Anwalt, der ihn wohl schlecht beraten hat.

 Christoph Rickels, im Hintergrund das Video, dass die Gewaltszene vor der Discothek zeigt.

Christoph Rickels, im Hintergrund das Video, dass die Gewaltszene vor der Discothek zeigt.

Foto: TV/Nora John
 Christoph Rickels (rechts) mit dem Leiter der Jugendstrafanstalt Jürgen Thum.

Christoph Rickels (rechts) mit dem Leiter der Jugendstrafanstalt Jürgen Thum.

Foto: TV/Nora John

„Täter müsste man sein“, sagt Rickels ironisch. Überhaupt lacht er oft, obwohl das, was er da schildert, nicht zum Lachen ist. „Ich kann nicht mehr weinen“, sagt er. Er würde es gerne könnte, denn das helfe dem Körper, Dinge zu verarbeiten. So suche sich der Körper andere Ventile, und eins davon sei eben das Lachen, auch dort, wo es nicht angebracht ist. Doch bei allen Schilderungen der schlimmen Dinge, die ihm widerfahren sind, versucht er immer wieder die jungen Menschen darin zu bestärken, an sich zu glauben und zu kämpfen, denn irgendwann komme das Gute zu einem zurück. Er sei mittlerweile in vielen Fernsehsendungen, unter anderem Stern-TV, mit seiner Mission aufgetreten. Ein besonderes Highlight sei 2015 die Preisverleihung einer Fernsehzeitung als „Held des Alltags“ gewesen. Rickels schwärmt von dem Hotel, der Limousine, mit der er abgeholt wurde, dem roten Teppich und Sängerin Yvonne Catterfeld. „Die sieht genauso geil aus wie im Fernsehen“, sagt er und erntet viel Gelächter.

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