Der steinige Weg zur Weiterbildung

In den Nachkriegsjahren war für einen Jungen oder Mädchen aus der Mark Thalfang der Weg zu einer höheren Lehranstalt nicht mit Rosen gepflastert. Die Zeiten waren schlecht. Daran erinnert sich Horst Fetzer aus Thalfang.

 Drei Kilometer Fußmarsch zur Bahnhaltestelle Geisfeld: Das was für die Schüler aus der Mark Thalfang, die das Gymnasium in Hermeskeil besuchten, nach dem Krieg Alltag. Foto: Horst Fetzer

Drei Kilometer Fußmarsch zur Bahnhaltestelle Geisfeld: Das was für die Schüler aus der Mark Thalfang, die das Gymnasium in Hermeskeil besuchten, nach dem Krieg Alltag. Foto: Horst Fetzer

Thalfang. Die Verschiebung der Ostgrenzen um rund 200 Kilometzer westwärts kam einer bevölkerungspolitischen Katastrophe gleich. So mussten in Westdeutschland elf Millionen Ostflüchtlinge aufgenommen werden. Dies führte auch in der Mark zu chaotischen Wohnverhältnissen. Viele Bewohner reagierten empört darauf, dass manche Flüchtlingsfamilien unter Zwang einquartiert wurden. Da der Märker jedoch im Grunde ein gutmütiger und friedliebender Mensch ist, normalisierten sich die Verhältnisse bald wieder.

Bis 1950 besuchte ich mit meinem Freund Joachim, dem Sohn einer Witwe aus Ostpreußen, die einklassige Volksschule in Lückenburg. Die viel geschmähte "Zwergschule" erwies sich dahingehend als vorteilhaft, dass wir vom Lehrstoff der älteren Jahrgänge vieles mitbekamen; wir erhielten die Empfehlung, am sogenannten Neusprachlichen Gymnasium in Hermeskeil die Aufnahmeprüfung zu absolvieren. Hierzu muss angemerkt werden, dass in meinem Jahrgang aus der Mark Thalfang und den umliegenden Dörfern nur fünf Jungen und ein Mädchen angemeldet wurden.

Mühsamer Tagesablauf für den Schulbesuch



Die Gründe für diese gegenüber heute geringe Beteiligung waren vielfältiger Natur. Weite Anfahrtswege, Schulgeld von 20 Mark im Monat, Furcht vor der Aufnahmeprüfung. Viele Volkschullehrer hatten Angst, sich mit einer Empfehlung eventuell zu blamieren. Die überwiegend bäuerlich strukturierte Bevölkerung tendierte mehr zu einer handwerklichen Ausbildung oder hatte Angst, die Kinder hätten keine Lust in der Landwirtschaft mitzuhelfen.

Doch zurück zum damals aktuellen Geschehen. Die Freude über unsere Empfehlung währte nicht lange. Unser Lehrer wurde krank. Es erschien ein Vertreter. Dieser fragte barsch: "Wer von Euch ist zur Aufnahmeprüfung in Hermeskeil angemeldet?" Nichts Gutes ahnend meldeten wir uns zaghaft. Seine Antwort war: "Für Euch hat das gar keinen Zweck!"

Zu Hause beratschlagten wir lange und beschlossen keinem ein Sterbenswort von der Angelegenheit zu erzählen. Wir fuhren mit unseren Müttern nach Hermeskeil zur Aufnahmeprüfung. Nachdem ich das Diktat mit null Fehlern absolviert hatte, war für mich die Aufnahmeprüfung gelaufen.

Hiernach begann der mühsame Tagesablauf für den Schulbesuch: Drei Kilometer Fußmarsch zur Bahnhaltestelle Geisfeld, Fahrt mit dem Dampfzug nach Hermeskeil, zwei Kilometer Fußmarsch zur Schule. Alles in zweifacher Ausfertigung. Am Nachmittag musste des öfteren in der Landwirtschaft ausgeholfen werden. Schularbeiten wurden abends erledigt.

Trotz dieser ganzen Mühen waren wir unverzagt und verstanden es immer den Verhältnissen das Beste abzugewinnen. In den Eisenbahnwaggons wurde mit Leidenschaft Skat gespielt. Ab 1953 fuhren die moderneren Triebwagen. Vor Hermeskeil lief die Bahnstrecke zirka drei Kilometer parallel.

So war der Jubel groß, wenn die Fahrschüler aus Kell und Reinsfeld in einem spannenden Wettrennen besiegt wurden. Als Evangelischer nahm ich meistens am katholische Religionsunterricht teil, weil wir hier nur wenige Kirchenlieder auswendig lernen mussten.

So manches Kämpfchen musste bestanden werden



Da in Hermeskeil Volksschule und Gymnasium in einem Gebäude untergebracht waren, kam es oft zu Reibereien, und es musste so manches Kämpfchen bestanden werden. Aus dieser Zeit könnte man noch manche Geschichte erzählen.

Als Resümee möchte ich sagen, dass diese relativ harte Zeit uns nicht geschadet hat. Im Gegenteil: Manche schwierige Situation konnte im späteren Leben besser gemeistert werden.

Alle Eltern und Kinder der heutigen Generation mögen sich hieran ein Beispiel nehmen.

Und noch etwas: Sprecht mit euren Kindern Märker- und Hochwälder Platt! Es ist eine eigene Sprache und sie darf nicht der Vergessenheit anheimfallen. In meiner Umgebung wurde bis zu meinem zehnten Lebensjahr ausschließlich Platt gesprochen. Es hat mir in keiner Weise geschadet.

Horst Fetzer, Thalfang

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