Der stolze Hahn ist arbeitslos

BINSFELD. Über Wetterhähne und ihre lebende Artgenossen in früherer und heutiger Zeit äußert sich Mariann Reiff, Mitglied im Verein zur Förderung der Heimat- und Kulturpflege Binsfeld:

Auf der höchsten Erhebung unseres Dorfes, auf der Kirchturmspitze, sitzt er und ist erfreut über seine schöne Aussicht über Berg und Tal. Seit Jahrhunderten kam der Wetterbericht von der Kirchturmspitze. Der stolze Hahn auf dem Kirchturm hat, was das Wetter betrifft, nie gelogen. Beharrlich hat er seine Stellung gehalten. Der erste Blick unserer Vorfahren ging am Morgen auf die Kirchturmspitze, denn es war ihnen wichtig, wie der Hahn heute sitzt. Man richtete die tägliche Arbeit danach ein. Schaut unser "Binsfelder Hahn" nach Herforst, wird es Regen geben. Wenn er in Richtung Landscheid schaut, prophezeit er schönes Wetter. Eins kann unser Hahn allerdings nicht - und das ist krähen. Leider hat unser Wetterhahn in der modernen Zeit heute sein Publikum verloren. Selten schaut noch jemand hinauf, wie der Hahn heute sitzt. Weltraumsatelliten, Messsonden und der Wetterbericht in den Massenmedien haben ihn arbeitslos gemacht. Als Wetterberichterstatter hat er ausgedient. Heute funktioniert der stolze Hahn auf der Spitze nur noch als Statussymbol. Symbolik, davon hatte der Hahn der Menschheit von jeher vieles zu bieten. Von seinem stolzen Posten aus sollte er nicht nur melden, wo der Wind her weht. Er sollte auch zur Umkehr mahnen und zum Gebet. Seit dem 9. Jahrhundert thronen Metallhähne auf den Kirchturmspitzen. Durch die Bibelszene mit Petrus, der ehe der Hahn drei mal krähte, Jesus drei mal verleugnete, hatte er für die christliche Symbolik Bedeutung. Das Gotteslob in mittelalterlichen Klöstern hat mit dem ersten Hahnenschrei begonnen. Vor der Wolkenkratzerzeit hat die Kirchturmspitze und somit der goldene Hahn als Erstes das Tageslicht erblickt. Der Wetterhahn war von seiner Aussicht entzückt. Der Turmhahn war Sinnbild für den Sieg, den Christus über die Finsternis trägt. In der Antike wurde der Hahn als Symbol an erster Stelle genannt. Schon damals hatte man die drei auffälligsten Eigenschaften des Kikeriki erkannt: seinen ausgeprägten Fortpflanzungstrieb, seine Kampfeslust und seine Lichtempfänglichkeit. Durch den frühen Hahnenschrei hat er die Menschheit lauthals aus dem Schlaf geweckt. Deshalb war er bei den Griechen Auferstehungssymbol. Dem Lichtgott Apollo, der streitbaren Athene und der Mondgöttin Selene war der Hahn geweiht. Die praktisch denkenden Römer hatten den Hahn aus Gallien importiert. Während ihrer Feldzüge hat er dann pünktlich als Wecker funktioniert. Vielleicht kommt daher auch die Bezeichnung "Gallischer Hahn". Der frühe Hahnenschrei hat die Schrecken der Nacht - die Dämonen und Räuber - vertrieben. Das war für die Menschheit ein weiterer Grund den Gockel zu lieben. Es wäre noch so mancher Grund, zu loben - den goldenen Kirchturmhahn so majestätisch dort oben. Die Verfasserin des Artikels, Marianne Reiff, ist Mitglied im Verein zur Förderung der Heimat- und Kulturpflege Binsfeld. Wer sich für den Verein interessiert, kann sich an Lothar Schmidt wenden, Telefon 06575/4893.

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