Der Unberührbare - komplett und ganz nah

TRIER. Simeonstift bis 2007 geschlossen, Landesmuseum nur teilweise geöffnet - diese museale Durststrecke verkürzt Triers Stadtbibliothek mit einer einzigartigen Ausstellung. In ihrer Schatzkammer zeigt ab 27. April 2005 acht Monate lang den Codex Egberti. Wer jede der 60 Originalseiten des 1000 Jahre alten handgemalten Buches sehen will, muss dreimal in die Weberbach pilgern.

In der jüngsten Stadtratssitzung herrschte seltene Eintracht, als es darum ging, der Sonderausstellung "Der Egbert-Codex. Das Leben Jesu - ein Höhepunkt der Buchmalerei vor 1000 Jahren" den formalen Segen zu erteilen. Denn, so der Tenor: "Endlich kann einer der großen Schätze Triers gebührend und würdevoll gezeigt werden." Und das deshalb, weil viele günstige Faktoren sich zu einem Glücksfall summieren. Normalerweise lagert das kostbare Stück im Tresor, um schädigende Belastungen von den filigranen Handmalereien fern zu halten. Nach abgeschlossener Renovierung besitzt das Stadtarchiv mit seiner Schatzkammer einen großen Ausstellungsraum mit neuartiger und extrem schonender Glasfaser-Beleuchtung.In 1000 Jahren zweimal im Exil

Weil auch der Codex Egberti restauriert und digitalisiert wurde, ist er derzeit eine auseinander genommene "Lose-Blätter-Sammlung" - die Grundvoraussetzung, um mehr als "nur" ein aufgeschlagenes, aber unberührbares Buch hinter Panzerglas präsentieren können. Aus dem Problem, immer nur eine Seite eines der beidseitig bearbeiteten Blätter zeigen zu können, macht die Stadtbibliothek eine Tugend. Sie teilt die Ausstellung in drei Etappen mit jeweils 20 gezeigten Originalseiten auf. Die restlichen Seiten sind dann in Faksimile-Version zu sehen. "Das lädt zu mehrfachem Besuch ein", meint Bibliotheks-Chef Gunther Franz. Sorgen um Eintritts-Einnahmen muss er sich freilich nicht machen. Denn der Codex Egberti erfreut sich internationaler Aufmerksamkeit und Wertschätzung. Der kunstsinnige Trierer Erzbischof ließ das liturgische Buch mit Auszügen aus den Evangelien zwischen 980 und 993 von Künstlern im Benediktinerkloster auf der Bodenseeinsel Reichenau herstellen. Außerdem war ein unbekannter Trierer Meister an der Entstehung der filigranen Handarbeit beteiligt. Ihre 60 Abbildungen zeigen Ereignisse im Leben Jesu sowie die Evangelisten und im Widmungsbild den thronenden Auftraggeber Egbert, dem zwei Reichenauer Mönche die Handschrift überreichen. Im 13. Jahrhundert kam Egberts Codex in das Trierer Stift St. Paulin. 1794 brachten ihn die Stiftsherren vor den französischen Revolutionstruppen nach Frankfurt in Sicherheit. 1810 gelangte das Buch in den Besitz der Stadtbibliothek - das Paulin-Stift war wie zahlreiche andere Klöster und Kirchen auf Napoleons Geheiß acht Jahre zuvor aufgelöst worden. Die 1944er Bombenangriffe auf Trier überstand die Kostbarkeit erneut im Exil jenseits des Rheins. So richtig Karriere macht das Kunstwerk vom Ende des ersten Jahrtausends im frisch angebrochenen dritten Jahrtausend. 2000 ließ der Europarat auf seine Kosten die Handschrift in Köln auseinander nehmen und restaurieren. In diesem Jahr nahm die Unesco den Codex Egberti in das Register "Memory of the World" (Weltdokumenten-Erbe) auf.Internationale Werbung für die Trierer Schau

"Das bestätigt, dass der Codex Egberti eine der bedeutendsten mittelalterlichen Handschriften ist. Seine Bilder zum Leben Jesu sprechen auch nach mehr als 1000 Jahren ganz besonders an", unterstreicht Gunther Franz. Rund 86 000 Euro lässt sich die Stadt die Ausstellung in der Weberbach kosten. Möglicherweise macht sie sogar noch einen finanziellen Gewinn damit. Die Einnahmen aus dem Eintritt (Ticketpreis: 4 Euro) sowie aus dem Verkauf des Begleitbandes und anderer Publikationen wurden in gleicher Höhe veranschlagt. Sie dürften eher höher liegen, da unter anderem der Faksimile-Verlag Luzern und die Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt (140 000 Mitglieder) die Werbetrommel für die Trierer Schau rühren. Als ebenfalls sehr Publicity-wirksam erweist sich Bundespräsident Horst Köhlers Ankündigung, die Schirmherrschaft zu übernehmen und ins Stadtarchiv zu kommen, so es ihm die Zeit erlaubt. Die Ausstellung, zu der auch das Bischöfliche Museum wertvolle Mittelalter-Exponate beisteuert, läuft vom 27. April 2005 bis 8. Januar 2006. Der Besuch lohnt, denn nach der Ausstellung wird der Codex wieder zusammengefügt und so schnell nicht wieder im Original zu sehen sein. Sein Wert entspricht seiner Bedeutung - außerordentlich. Das Welfen-Evangeliar wechselte in den 90er-Jahren für 30 Millionen Mark den Besitzer. "Aber unser Codex ist älter und noch wertvoller", sagt sein stolzer Hüter Gunther Franz.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort