Der verrückte Stadtstuhl

Wittlich · Seit zehn Jahren thront der Sandsteinstuhl der Künstlerin Christine Nicolay in der Burgstraße. Die Arbeit ist im Rahmen des zweiten Wittlicher Bildhauersymposiums entstanden. Jetzt soll sie verrückt werden.

Wittlich. Ein Mülleimer, ein Einbahnstraßenschild, zwei Betonblumenkübel, eine Straßenlaterne. Das alles stand im Knick der Burgstraße mit dem Durchgang zur St. Markuskirche vor "Ihr Platz". 2002 verschwand das Ensemble, das die Altstadt nicht gerade schmückte. Es macht Platz für einen riesigen Sandsteinstuhl. Kinder klettern auf ihm herum, nehmen auf ihm Platz, lassen die Beine baumeln. Bettler nutzen ihn als markanten Standort, manchmal liegt Müll auf seiner Sitzfläche
Aus Sandstein gehauen


Christine Nicolay hat 2002 dieses Fleckchen Innenstadtpflaster als Standort für ihre Stadtstuhl genannte Arbeit ausgesucht, die sie aus einem drei Kubikmeter großen, 7560 Kilogramm schweren Sandstein im Rahmen des zweiten Wittlicher Bildhauersymposiums geschlagen hat (siehe Extra). Alle fünf Werke ordneten sich damals dem Thema "Ortsbezüge" unter. Das heißt, die Arbeiten sollten später nicht "irgendwo" stehen, sondern wurden speziell für einen zuvor bestimmten Platz konzipiert. Das war die Vorgabe des Symposiums.
Die Umsetzung war nicht einfach. So wurde um die Platzierung des großen Sandsteinkopfes von Jürgen Waxweiler gestritten. Der Künstler setzte sich durch. Die Skulptur steht am Stadtparkrand und wurde zu einem der beliebtesten öffentlichen Kunstwerke Wittlichs. Ihr Erschaffer sagte damals zum Thema "Ortsbezüge": "Es soll ja nicht sein wie mit den armen Seelen, die nicht zur Ruhe kommen."
Sein Kopf hat Ruhe, der Stadtstuhl nicht. Der soll versetzt werden. Das hat Christine Nicolay Anfang Mai erfahren. Grund: Geschäftsleute wünschen sich an dessen Stelle Spielgeräte und Sitzgelegenheiten. Und wo soll die Arbeit hin? In den Stadtpark.
"Diese Alternative kann ich im Moment aus konzeptionellen Gründen noch nicht sehen", schreibt Christine Nicolay dazu an den Bürgermeister Joachim Rodenkirch. Sie erinnert daran, dass der damalige Kulturausschuss "nach ausführlichen Diskussionen das dazugehörige Konzept und den Standort genehmigt" habe.
Aus Sicht der Künstlerin hat sich die Skulptur "als Kommunikationspunkt für Jung und Alt bewährt und wird sehr gut von Einheimischen und Touristen angenommen." Sie hat auch einen Vorschlag: "ergänzend Bänke oder Sitzgelegenheiten platzieren" und so das "Angebot zum Verweilen, zum Ruhefinden und als Erlebniszone noch weiter aufzuwerten."
Der Stadtstuhl wäre nicht die erste Bildhauerarbeit, die in Wittlich umzieht. 1996 verlegte die Stadt den Säubrennerbrunnen des Künstlers Silvio dell Antonio auf dem Pariser Platz in die Trierer Straße/Durchgang Pariser Platz. 2005 rückte man diese Entscheidung wieder zurecht und den beliebten Brunnen zurück an seinen Ursprungsstandort: Kostenpunkt: 28 000 Euro.
Was ist Ihre Meinung zum Stadtstuhl: Sollte er bleiben oder verrückt werden?
Bitte mailen Sie uns kurz gefasst an: mosel@volksfreund.de,
Stichwort: Stadtstuhl.

Extra

Das erste Bildhauersymposium war 1989. Diese Arbeiten, allesamt aus Marmor, stehen im Stadtpark, am beliebtesten ist der Kreisel von Senne Simon. Das zweite Symposium im Jahr 2002 setzte zum einen auf Werkstoff aus der Region, zum anderem unter dem Titel "Ortsbezüge" darauf, dass die Künstler für einen von ihnen selbst bestimmten Standort in der Stadt ein Werk schufen. Teilnehmer waren Jürgen Waxweiler, Traben-Trarbach (Großer Kopf im Stadtpark), Christoph Anders, Sehnheim (Wanderer, Passage am Durchgang an der Lieserbrücke/Trierer Straße), Barbara Baumann, Plein (Handtasche Rasenstück an der Lieser/Feldstraße), Sebastian Langner, Wittlich (Säule, Rasenstück an der Lieser, Himmeroder Straße) und eben Christine Nicolay, Greimerath (Stadtstuhl, Burgstraße). Das zweite Symposium wurde von der Stiftung Stadt Wittlich mit 51 100 Euro gefördert. Die Künstler erhielten je 5000 Euro für ihre Arbeiten. Ein Katalog erschien vier Jahre später. sos

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