Die Boxhandschuhe liegen immer bereit

Immer mehr Jungen fehlt der Vater. Sie haben Probleme mit der Geschlechterrolle. Das Land hat deshalb ein Projekt ins Leben gerufen, für das drei Grundschulen ausgewählt wurden.

 Boxen baut Aggressionen ab. Diese Erfahrung macht Schulsozialarbeiterin Andrea Stablo (Vierte von rechts), die gerne Hilfestellung gibt. TV-Foto: Clemens Beckmann

Boxen baut Aggressionen ab. Diese Erfahrung macht Schulsozialarbeiterin Andrea Stablo (Vierte von rechts), die gerne Hilfestellung gibt. TV-Foto: Clemens Beckmann

Bernkastel-Kues. In der Cusanus-Grundschule in Bernkastel-Kues wird gerne geboxt — sogar mit Erlaubnis des Lehrpersonals und unter den Augen von Schulsozialarbeiterin Andrea Stablo. "Wenn jemand zu mir kommt und sagt, er habe Aggressionen, sage ich: ,Komm wir gehen eine Runde boxen'", erzählt Stablo.

In einem Raum im Keller hängt ein schwerer Sack, und Boxhandschuhe sind auch vorhanden. Die Mädchen sind davon zwar nicht ausgeschlossen, aber es sind meist Jungen, die hier Wut und Aggression bekämpfen.

Boxen ist Teil des Projektes "Die geschlechtsbewusste Grundschule — Jungenförderung in der Ganztagsschule". Die Grundschule Bernkastel-Kues (224 Schüler) ist mit zwei Schulen in Idar-Oberstein und Neuwied vom Land für dieses Modellprojekt ausgewählt worden (der TV berichtete). "Wir wahrscheinlich deshalb, weil wir bereits auf einem Fundament aufbauen können", berichtet Schulleiterin Stephanie Reiter, die sich seit acht Jahren mit der Thematik beschäftigt.

Es gibt verschiedene Ursachen dafür, dass sich Jungen in dieser Altersstufe schwerer tun als Mädchen. Es seien tendenzielle Reifeverzögerungen, zum Beispiel bei der Sprachentwicklung, festzustellen. Immer mehr Kinder wüchsen ohne Vater auf. "Das Modell Vater fehlt", sagt Reiter. Und darunter litten die Jungen. Zudem seien sie im Kindergarten und in der Grundschule fast nur mit Erzieherinnen und Lehrerinnen konfrontiert. "Mann sein ist sehr schwierig, das Vorbild fehlt oft", sagt Diplom-Pädagogin Andrea Stablo.

Deshalb werden die beiden Lehrer, die an der Schule beschäftigt sind, sowie männliche Bezugspersonen, die in der Nachmittags-Betreuung der Ganztagsschüler (72 Jungen und 72 Mädchen) sich verstärkt dem Projekt zuwenden. Hilfe kommt auch von Ergotherapeuten und Logopäden. Mitarbeiter des Paritätischen Bildungswerks Rheinland-Pfalz/Saarland, Träger des Projektes, werden regelmäßig in die Schule kommen: beispielsweise um die Lehrer mit den Anforderungen vertraut zu machen. Auch Elternabende wird es geben. Geplant sind auch Vater-Sohn-Nachmittage.

Meinung

Schwere Zeiten für Jungs

Die Männer, das starke Geschlecht: Das ist ein Märchen. Der Mann war nur so lange stark, wie es noch keine Gleichberechtigung gab und die Frauen mit Absicht dumm gehalten wurden. Viele Männer kommen mit der neuen Stärke der Frauen nicht zurecht. Das ist ein Grund, warum es oft zur Trennung von Eltern kommt. Die Kinder bleiben meist bei der Mutter. Und damit brechen schwere Zeiten für die Jungen an, die ihre Rolle in der Gesellschaft zwar suchen, aber nicht finden. In den Kindergärten und Grundschulen suchen sie den Vaterersatz meist auch vergebens. Gerade in dieser Richtung müsste ein Umdenken stattfinden. Neue Männer, im Kindergarten und in der Grundschule, braucht das Land. Und eine Gesellschaft, die sich, wenigstens den Kindern zuliebe, Gedanken macht, wie verhindert werden kann, dass immer mehr Beziehungen in die Brüche gehen. c.beckmann@volksfreund.de

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