Die Bremse als Spielverderber

WITTLICH. Verbotsschilder und Appelle helfen nur bedingt weiter: Die Lust am Rasen auf Autobahnen bleibt ungebrochen – auch dort, wo es verboten ist.

Ein typischer Vormittag auf der A 1: An der Baustelle kurz vor Daun mahnt eine "80" Mäßigung an, aber kein Fahrer bleibt unter 110 km/h. 15 Kilometer weiter Richtung Trier, auf einem Abschnitt ohne Tempobegrenzung, will ein Mitarbeiter einer Autobahnmeisterei etwas an einer Mittelplanke kontrollieren, als eine schwarze Limousine heranrast - mit Höchstgeschwindigkeit. Die Bremsleuchten bleiben dunkel. Zwei Situationen, wie sie auf den Autobahnen der Region immer wieder anzutreffen sind.Viele Unfälle durch zu hohes Tempo

Nicht immer läuft es glimpflich ab: 1037-mal hat es im vergangenen Jahr auf den Autobahnen der Region gekracht. Laut Wittlicher Polizeidirektion war in jedem dritten Fall "überhöhte Geschwindigkeit" der Grund. Zwar gelten die Autobahnen insgesamt als sehr sicher. Doch prozentual betrachtet gab es in der Region auf ihnen doppelt so viele Unfälle wegen überhöhter Geschwindigkeit wie auf Landstraßen und innerorts. Die Autobahnen sind - im Gegensatz zu den meisten Nachbarländern - ein Paradies für schnelle Fahrer: Auf der Hälfte aller Strecken gilt freie Fahrt, so eine Schätzung des ADAC, der sich gegen ein generelles Tempolimit auf den Autobahnen ausspricht. Vorhandene Geschwindigkeitsbeschränkungen in der Region (siehe Grafik) hält der ADAC-Experte Ekkehart Röhr vom Regionalverband Mittelrhein aber für gerechtfertigt. Und rücksichtsloses Verhalten wie oben geschildert nennt er "kriminell". Jeder müsse sich dem Verkehr entsprechend bewegen. "Es sollte eigentlich klar sein, dass man an Gefahrenstellen vom Gaspedal runtergeht", sagt Röhr, allerdings sollte man sich fragen, ob der jeweilige Grund für die Beschränkung so gravierend sei. Wo Verbote gelten, geht die Polizei mit Laser und Kamera gegen Uneinsichtige vor: Im vergangenen Jahr wurden allein in der Region auf den Autobahnen bei 85 Kontrollen 160 000 Fahrzeuge registriert. Davon waren 6200 Fahrer zu schnell am Kontrollpunkt unterwegs: 24 mit mehr als 60 km/h als erlaubt, ein Drittel davon am Kreuz Wittlich. 60 Fahrer hatten 50 km/h und 1200 immer noch 30 km/h zu viel auf dem Tacho - insgesamt drei Prozent aller Fahrer. "Ein Durchschnittswert", sagt Ulrich Müller von der Polizeidirektion Wittlich. Blitzmessgeräte seien meistens rechtzeitig zu erkennen, die Fahrer somit gewarnt. Die Kontrollen auf den Autobahnen werde man aber intensivieren, sagt Müller. Die Dunkelziffer ist hoch: Jeder zweite Autofahrer hält Geschwindigkeitsbeschränkungen auf Autobahnen nicht ein, so das Resultat einer europaweiten Fahrerbefragung ("Sartre": Social Attitudes to Road Traffic Risk in Europe), die mittlerweile zum dritten Mal von mehreren Instituten in 23 Staaten vorgenommen wurde. Deutschland bildet da keine Ausnahme. 43 Prozent der deutschen Befragten gaben zudem an, "gerne schnell zu fahren" - im Nachbarland Belgien sind es gerade mal 29 Prozent. Abhilfe an den Gefahrenstellen schaffen letztlich nur eine 24-Stunden-Kontrolle und Bußgelder, wie sie jüngst für Drängler verschärft worden sind. Denn Schnellfahren sei für manche trotz aller Gefahren schlichtweg ein Spaß, ähnlich dem Adrenalinschub beim Bungeespringen - verbunden mit dem Reiz, das technisch Machbare auszuprobieren, sagt der Trierer Verkehrspsychologe Richard Tank. Die Bremse wirke da wie ein Spielverderber - "Es bedeutet einen Wahnsinnsaufwand, sie zu betätigen." Auch Termindruck spielt eine Rolle. Tank spricht vom "Beschleunigungssyndrom": Raser glaubten, die Zeit überholen zu können. Strafe sei nicht das einzige Mittel zur Erziehung, vielmehr müsse man auch andere Faktoren berücksichtigen. "Ich hatte einen Fall, bei dem jemand immer zu schnell fuhr, weil er einen früheren beruflichen Fehler durch mehr Arbeitspensum ausgleichen wollte."

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